Gemütlicher Abend mit Gabi, Hund Albertine und Köchin Doris
Gemütlicher Abend mit Gabi, Hund Albertine und Köchin Doris

Begegnungen und die erste Panne

Am 30. Mai überholt uns ein fitter Holländer mit Velo und (sehr) leichtem Gepäck. Eigentlich sind sie zu zweit. Sein Kollege nehme es eher gemütlich, mache ab und zu Pause, fotografiere und lasse sich nicht stressen, das nerve ihn. Nachmittags finde man sich irgendwo wieder. Sagt`s und ist in fünf Minuten ausser Sicht. Wir grinsen und sind uns einig, so pedalen wäre nichts für uns. (Beim Einkaufen gegen Abend treffen wir seinen Radkollegen. Mit einem Schmunzeln erzählt er, dass sie gestern 160 km gespult sind und erst um 23 Uhr in einem Bushäuschen einen Schlafplatz gefunden haben. Ein Zelt haben die beiden nicht dabei; Schlafsäcke? – wir bezweifeln es. Gestartet sind sie Anfang April in Casablanca, Marokko. Die Beiden sind übrigens um die sechzig(!) und nicht das erste Mal auf Tour).

Über Pitea geht’s nach Lulea, der vorläufig letzten grösseren Stadt in Schweden (für uns). Auf einem der grössten Campingplätze Schwedens geniessen wir nach einem feinen Nachtessen den Abend mit Lesen, bis uns Regentropfen ins Zelt treiben. Die ganze Nacht giesst es mal mehr, mal weniger. Am Morgen immer noch Regen. Nach 81 km im Rekordtempo (es „schifft“ nur einmal an dem Tag) ist in Kalix, 50 km vor der finnischen Grenze, Schluss. Wir sind tropfnass, das Zelt auch (von gestern). Seit dem 25. April gab`s für uns erst zwei Tage Regen, also kein Grund zum Jammern. In der Schweiz ist es seit langem nass und immer noch saukalt.

Kurz nach uns rollt ein deutsches Wohnmobil auf den Platz. Bei einem Schwatz im Aufenthaltsraum laden uns Gabi und Doris spontan zum Nachtessen ein. Da lassen wir uns nicht bitten! Für Gabi ist mit dem Wohnmobil ein Traum in Erfüllung gegangen. In Deutschland hat Sie Wohnung und Möbel verkauft und ist seit einem Jahr auf Achse. Bis Ende Juni mit Doris, einer langjährigen Freundin. Wir geniessen den Abend bei gutem Essen und einem Glas Roten (oder waren es mehrere?). Herzlichen Dank euch beiden, auch für den Morgenkaffee!!

Vor zwei Tagen dann die erste Panne nach gut 8`000 Kilometern. Der hintere Reifen bei Pit`s Velo hat innen einen 10 cm langen Riss. Mit ca. 12`000 km war der Pneu von aussen noch gut in Schuss. Zum Glück trat der Defekt nicht beim Abfahren auf. Der Ersatzreifen ist rasch montiert.

Nordwärts

Glück gehabt. Nach einem grauen Tag geniessen wir weiter warmes Frühlingswetter (bis 20°C tagsüber). Bea kann sich an den weiten Flächen mit „Soiblueme“ nicht satt sehen – einfach traumhaft.

Wenn möglich radeln wir auf Nebenstrassen und überlassen die E4 dem Lastwagen- und Ferienverkehr. Wohnmobile begegnen uns nun häufiger. Ein Tourenradfahrer ist gestern beim Einkaufen kurz aufgetaucht, aber wortlos weiter gefahren. Heute sehen wir ihn auf der E4 vor uns wieder. Scheint so, als wolle er nicht mit uns zusammentreffen und ein paar Worte wechseln. Komischer Vogel. Zwei nicht mehr ganz junge schwedische Ladys kommen uns tags darauf beim Mittagshalt entgegen. Sie wollen nach Stockholm, weitere Ziele sind noch offen. Gute Reise und toi, toi, toi!

Einen Platz zum Campen zu finden, ist nicht immer einfach und manchmal nervig. Zum Beispiel vorgestern, vor Umea. Laut Karte soll es da einen Badestrand geben. Das Meer vor dem Zelt – für uns das Grösste. Fast eine Stunde gurken wir rum, finden alles andere, nur keinen geeigneten Platz. Die schönsten Ecken sind eh immer privater Grund, kennt man ja von zu Hause. Dann, endlich, eine riesige Wiese ausserhalb des Ortes. Fussballtore stehen noch abseits und die Garderobengebäude sind verschlossen. Sonntagabend, da haben wir sicher Ruhe. Das Nachtessen brutzelt in der Pfanne und wir geniessen das Feierabendbier. Jetzt wird es lärmig. Die nächsten zwei Stunden wird auf dem Feld Baseball gespielt. Unvermittelt ist der Spuck vorbei. Quitschende Reifen, dann sind wir (endlich) allein. Am anderen Morgen, Pit zieht gerade die Hose über, liegt ein Surren in der Luft. Ausgerechnet in der Nähe unseres Zeltes lässt ein Hobbypilot seinen Modellflieger steigen – und das um 07.00 Uhr! Wir glauben es nicht.

Gestern, am 28. Mai, sind wir genau 8 Monate unterwegs und haben kurz vor dem Mittag den 8`000 Reisekilometer auf dem Navi (inkl. zwei Monate Istanbul-Winterpause). Erst acht Monate? Schauen wir unser Tagebuch mit all dem Erlebten an, haben wir das Gefühl, schon viel länger unterwegs zu sein. Vieles hat einen Rhythmus bekommen. Jeder erledigt seine Aufgaben beim Zelt aufbauen, Kochen, Zusammenpacken am Morgen. Sechs bis sieben Stunden täglich im Sattel bestimmen den Tagesablauf. Die Streckenwahl ist nicht immer einfach. Die Hauptstrasse mit viel Verkehr nehmen oder längere Nebenstrassen mit zusätzlichen Höhenmetern aber schöner Natur? Wie sind die Steigungen? Wo ist Einkaufen möglich? Diskussionen und Spannungen sind nicht vermeidbar. Distanz ist schwierig; wir sind als Team unterwegs, da müssen wir uns immer wieder finden. Reisen mit dem Rad schweisst aber auch zusammen. Viele schöne Momente, Ausblicke und Begegnungen wiegen Differenzen mehr als auf. Nein, wir haben bisher keinen Tag bereut. Selbst die kalten und ungemütlichen Winterwochen auf der Reise waren wichtig, um sich selber kennen zu lernen und seine Grenzen auszuloten. Wir geniessen das Reisen zusammen.

Schweden zum Schmunzeln

Schweden ist ein tolles Veloreiseland! Grandiose Natur, freundliche Menschen, super Strassen und viel Platz um abseits ohne Lärm zu pedalen. Schweden zum Schmunzeln und manchmal zum Kopf schütteln ist für uns, wenn es um Alkohol und seinen Konsum geht. Nein, nein, die Preise sind absolut in Ordnung. Das Kaufen überwacht der Bevormundungsstaat aber konsequent. Bier bekommt man in den Supermärkten, allerdings nur bis 3,5% Vol. Mehr Bier-Prozente gibt es in besonderen Shops mit Lizenz, wo man sogar Wein(!) findet (nur in grösseren Städten).

Wer seinen Lieblingswhiskey kaufen will, der muss einen dritten, speziellen Spirituosenladen ansteuern (in der Stadt, versteht sich). Nach 749 km gelingt es uns, ohne Umwege eine Flasche Wein zu kaufen.

Vor zwei Tagen bekommt Bea im Supermarkt nur mit Vorzeigen der ID zwei Büchsen Bier mit 2,8%Vol. Die (übereifrige?) Kassiererin besteht darauf. Ohne Ausweis kein Bier, ob 18 oder 59 Jahre alt, basta. Die Personalien werden notiert. Bea bekommt beim Nachfragen, ob es Ihr wirklich

ernst sei, einen Lachanfall, was an der Kasse nicht so gut ankommt. Manchmal bleibt nur ein Schmunzeln . . .

Ursprünglich war vorgesehen, auf der Hauptverbindungsstrasse E4 entlang der Ostküste Schwedens zu fahren. Viel Verkehr, nur zwei Fahrspuren, fast kein Seitenstreifen und meist eine Leitplanke halten uns davon ab. Wir weichen auf die alte E4 aus. Um nicht grosse Umwege zu pedalen, suchen wir wo möglich kleine Nebenstrassen. Und wenn es dann so schön rollt, fast ohne Verkehr, ist der Teerbelag unvermittelt zu Ende und wir holpern über Naturstrassen. Ist die Fahrbahn trocken, fährt sich das recht flott. Bei Nässe wird das Vorwärtskommen eine klebrige Angelegenheit, da rinnt der Schweiss. Wir beissen uns unzählige Hügel hoch. Nach sechs Stunden im Sattel sind die Beine bleischwer und der Hintern schmerzt. Durchatmen und weiter. Malerische Landschaft und viel, viel Natur entschädigen uns jeden Tag. Schweden ist schön!

Den Ruhetag in der Nähe von Sundsvall geniessen wir in einem Cabine auf einem grossen Zeltplatz direkt am Meer. Der Camping öffnet erst am 15. Juni, trotzdem sind wir willkommen und bezahlen dank Bea`s Verhandlungsgeschick einen günstigeren Preis. Sieben Tage fahren hat Puste und Kraft gekostet. Wir sind ausgelaugt, das Zelt ist nass (Regen und Nebel in der Nacht vorher beim Zelten an einem See) und die Kleider müssen dringend in die Maschine. Nach einer nassen Nacht (wir am Trockenen) starten wir bei dichtem Nebel und grauschwarzem Himmel. Am Nachmittag Nieselregen. In Schweden ist es bei dem Wetter genau so „gruusig“ wie in der Schweiz . . . Wir nehmen trotz viel Verkehr und engem Seitenstreifen die E4. Aufpassen und rasch vorwärts kommen ist die Devise.

Unsere Fähre nach Stockholm.
Unsere Fähre nach Stockholm.

Schweden

Nach einer ruhigen und schönen Nachtfahrt mit der Fähre erreichen wir Stockholm am 15. Mai bei Sonnenschein und warmen Temperaturen. Schwedens Hauptstadt zeigt sich im schönsten Frühlingskleid. Wir halten uns trotzdem nicht lange auf und hoffen die Stadt rasch hinter uns zu lassen (wir waren vor Jahren schon mal in Stockholm). Es kommt wieder mal anders. Trotz vorbereiteter Route auf dem Navi kurven wir stundenlang durch Vorstädte und fahren so ziemlich alle Strassen ab, die es gibt. Es kommt uns auf jeden Fall so vor. Entweder sind Strassen für Velos verboten oder das tolle Radwegnetz verleitet zum Abweichen von der Strecke. Das nervt gewaltig.

Am zweiten Tag geht’s dann rascher vorwärts und nach und nach wird auch der starke Verkehr weniger. Wir geniessen das wilde Campen und selber Kochen am Abend. Plätze zum Übernachten finden sich immer. Die Schweden sind Velofahrer, da darf man auch bei Privaten mal für einen Platz fragen.

Selbst Nebenstrassen sind in einem super Zustand. Nur das ständige Rauf und Runter – nie lang aber dafür giftig steil – und der stetige Gegenwind bremsen unser flottes Tempo. Heute, am Pfingstsonntag, haben wir besonderes Glück und finden einen Zeltplatz ganz für uns allein. Wir sind die einzigen Gäste, bekommen die Schlüssel für den Aufenthaltsraum, können die Küche benützen, unsere Geräte aufladen und abends das Finalspiel im Eishockey Schweiz-Schweden schauen. Grandios! „Die Schlüssel morgen bitte in die Schublade neben der Türe legen“, damit wünscht uns die Vermieterin einen schönen Abend. Wir sind allein auf dem Platz. Einmal mehr schätzen wir das grosse Vertrauen.

Gemütliches Heim für eine Nacht.
Gemütliches Heim für eine Nacht.

Überraschungen . . .

In der Nähe von Haapsalu, an der Westküste Estlands, finden wir nach längerem Suchen eine schöne Sport- und Freizeitanlage zum Übernachten. Zelten geht nicht, aber ein kleines Gartenhäuschen mieten ist kein Problem, obwohl die Anlage erst in einer Woche öffnet. Die nette um umtriebige Vermieterin Astrid öffnet die Dusche und – welche Überraschung – heizt exklusiv für uns sogar die Sauna ein! Ein ganz besonderes Vergnügen nach fast 100 km Pedalen.

Braunbär (Bild leider nicht von uns).
Braunbär (Bild leider nicht von uns).

Wir haben zwei Tage Zeit bis Tallinn und nehmen darum eine längere und einsamere Route auf einer kleinen Nebenstrasse entlang der Küste. Sumpfgebiete und viel Wald säumen die Strasse, ab und zu mal ein Auto, sonst ist keine Menschenseele unterwegs. Wieder mal ein Schild „Achtung Elche“ auf 5 km. Wir grinsen und machen Witze, ob die Esten das ernst meinen und ob es überhaupt solche grossen Schaufelgeweihträger hier gibt. Wenn wir doch mal einen sehen würden! Und dann passiert es: Unvermittelt, wir trauen unseren Augen nicht, setzt hundert Meter vor uns ein grosser Braunbär über die Strasse! Der Schreck ist uns gehörig in die Glieder gefahren, abrupt bleiben wir stehen und warten ab. Kommen da vielleicht noch Junge nach? Nichts passiert. Mit Herzklopfen, mulmigem Gefühl und vielleicht etwas schneller als vorher rollen wir weiter. Elch ja, aber ein Bär, damit hätten wir nie gerechnet.

Im kleinen Estland (45% Waldgebiete, nur 4`000 km2 grösser als die Schweiz) gibt es ca. 200 Wölfe, viele Luchse, ca. 10`000 Elche und gegen 800 Braunbären, Anzahl steigend. Das googeln wir erst in Tallinn. Die Vorbereitung auf unser 16. Reiseland war also nicht optimal.

Zwei Tage Pause in Tallinn zum Erholen und Planen der Weiterreise. Darauf freuen wir uns. Die Hauptstadt gefällt auf Anhieb, nicht nur wegen des warmen Frühlingswetters. Es sei für die Jahreszeit mit 6°C nachts und tagsüber bis 17°C ungewöhnlich warm, erklärt man uns. Im Sommer ist mit max. 21 Grad zu rechnen. Wir geniessen die grosszügigen Grünanlagen, bummeln durch die verwinkelte Altstadt und machen um die ersten Touri-Pulks einen Bogen.

Am Dienstag geht`s mit der Fähre nach Schweden.

Estland, ab 7. Mai 2013

Kurz nach der estnischen Grenze beginnt ein toller Radweg auf einer kaum befahrenen Strasse entlang der Ostsee. Die Beschilderung (für Velofahrer) lässt keine Wünsche offen und wann immer möglich bekommen wir eine eigene Spur, vor allem in Dörfern und Städten. Die Esten haben ein Herz für Radfahrer; so verwöhnt wurden wir schon lange nicht mehr.

Weil das Wetter super mitspielt, schlafen wir seit Tagen im Zelt. An der Küste gibt es traumhafte Plätze zum Wildcampen (ist neben Skandinavien auch in den baltischen Staaten erlaubt) mit direktem Meeranstoss. Den Sonnenuntergang bei einem kalten Bier vor dem Zelt geniessen . . . sorry, wir können das nicht unerwähnt lassen.

Zeltplätze gibt es viele, leider öffnen die meisten erst Mitte Mai. Einfach fragen, in der Regel klappt es mit dem Campen doch. Allerdings – und das ist eher mühsam – sind Toiletten, Duschen usw. (noch) nicht in Betrieb. Improvisieren ist dann alles. Irgendwie geht es immer.

Die Grenze zu Lettland.
Die Grenze zu Lettland.

Lettland, ab 2. Mai 2013

Nach acht Tagen schönem Litauen fahren wir bei Germaniskis über die Grenze nach Lettland. Lediglich ein Schild weist darauf hin, dass wir unser 15. Reiseland erreicht haben. Wie vorausgesagt, ist die Strasse ein grosser Flickenteppich der sich auf den ersten 15 km vor uns ausbreitet. Nur mühsam geht es vorwärts. Wenigstens fast kein Verkehr, leider auch keine Möglichkeit Geld zu wechseln oder einen Bankomaten zu finden (der einzige an diesem Tag ist ausser Betrieb). Bei tollem Frühlingswetter aber recht kaltem Wind holpern wir auf langen, eher langweiligen Geraden dahin.

Die Infrastruktur in den wenigen Dörfern und kleinen Ortschaften ist bescheiden. Ab sofort heisst das für uns, frühzeitig einkaufen und die Vorräte auffüllen. Heute möchten wir unbedingt das Zelt aufschlagen. Leider findet sich kein geeigneter Ort (während der vergangenen Tage gab es die tollsten Wildzeltplätze zuhauf!). 22 km weiter, in Birzai, soll es einen Campingplatz geben. Leider nicht ganz richtig: Stellplatz für Camper vorhanden, Zelt aufschlagen nicht möglich. Wenigstens schmeckt das Nachtessen (Picknick) im Freien und das Bier nach 107 gefahrenen Kilometern sowieso! Die nächste Nacht, kurz vor Riga, schlafen wir in einem ganz einfachen Cabine auf einem Floss – etwas Neues und schon nah dran am Zelten.

Riga gefällt mit seiner schönen Altstadt, allerdings genügt uns ein Tag Aufenthalt (Old Town gibt nicht so viel her, finden wir). Beim Velofahren ist die grosse Lust am Sightseeing von früher verloren gegangen. Die Natur ist uns näher als der Touristenrummel.

Bis Ende Woche wollen wir bis Tallin pedalen und nach zwei Tagen Pause die Fähre nach Stockholm nehmen. Leider wird es mit der Tour durch Russland nichts. Wie befürchtet, kann das Visum nur in der Schweiz mit Angabe des Einreise- und Ausreisetages beantragt werden. Das war im Herbst letzten Jahres einfach nicht möglich. Schade, vielleicht später mal.