Der zentrale Platz in Panglao City wird an Weihnachten erstmals wunderschön beleuchtet.
Der zentrale Platz in Panglao City wird an Weihnachten erstmals wunderschön beleuchtet.

Nützliche Plagegeister, Karaoke und Chocolate Hills

"Hello Mister, hi mam", "Good morning!" . . . überall werden wir mit einem Lächeln willkommen geheissen. Es gibt in manchen Ländern eine aufgesetzte, oberflächliche Freundlichkeit mit dem Hintergedanken, mit netten Worten bessere Geschäfte zu machen. Hier auf den Philippinen spüren wir eine Herzlichkeit die wirklich von Herzen kommt. Die offene und freundliche Art der Philippinos ist echt ansteckend und für uns manchmal grummeligen und eher zurückhaltenden Mitteleuropäer so erfrischend – wir können und wollen uns diesem fremden Charme nicht entziehen. Wir staunen über die durchwegs guten bis ausgezeichneten Englischkenntnisse. Selbst die Marktfrau kramt rasch ein paar Brocken hervor um die süssen Bananen mit einem gewinnenden Lächeln an die Kundin zu bringen.

Eine heftige Erkältung mit Ohrenschmerzen und hohem Fieber hat uns Mitte Dezember ein paar Tage flach gelegt. Nasskalte 3 Grad in der Schweiz und einen Tag später über 30 Grad im Schatten, Klimaanlagen im Flugzeug und auf der Fähre, Roller fahren im kurzen Hemd – das war zu viel. Intensive gegenseitige Pflege (vor allem von Bea) und ein paar Tabletten halfen uns wieder auf die Beine. Da radeln wir ein Jahr ohne krank zu werden durch nasskalte und windige Gegenden und hier an der Wärme haut es uns gleich um. So kraft- und saftlos mit Kopfschmerzen rumzuhängen, das war eine neue, ungewohnte Erfahrung.

Nach einem Monat haben wir uns eingelebt und einigermassen an das heissfeuchte Klima gewöhnt. Ein paar besondere Eigenheiten der Tropen, z.B. die immer und überall auf Fressbares lauernden grossen und kleinen Ameisen, sind immer noch lästig, aber wir haben sie „im Griff“. Ja nirgends Essbares liegen lassen, nicht die kleinsten Krümel, immer den Boden aufwischen, sonst sind die nützlichen Plagegeister sofort überfallmässig zur Stelle und dringen bis in die hinterste Küchenschrankecke vor. Kreide, abgeriebener Knoblauch oder Zwiebeln wirken Wunder. Scharfe Gerüche mögen die feinen Ameisennasen nicht.

Dass die Philippinos Karaoke (eine weltweit bekannte Freizeitbeschäftigung und ein Partyspiel, in den 70ern in Japan erfunden, bei der Mitspieler zum Instrumental-Playback bekannter Musikstücke live ins Mikrofon singen.) über alles lieben, wussten wir nicht, werden aber am Morgen daran erinnert. Früh oder sehr früh (für uns), es darf schon mal 06.30 Uhr sein, hämmern die Bässe mit voller Lautstärke durch den Wald und die ersten versuchen sich als Schlagerstars am Mikrofon. Ob Dreikäsehoch oder Oma, alle dürfen mal (gegen Bezahlung), falsche Töne stören niemanden und Zuhören und Mitsingen unterm Palmenblätterdach ist ein Vergnügen sondergleichen – strahlende Gesichter und klatschende Hände überall. Wir sitzen nicht mehr aufgeschreckt kerzengerade im Bett, wie am ersten Tag. Ameisen im Reis sind auf jeden Fall störender.

Panglao, Lourdes, Buenos Aires, La Paz, Carmen waren einige Orte auf dem Weg zu den Chocolate Hills auf Bohol. Ein besonderer Leckerbissen, der Zweitagesausflug. Nicht mit den Velos, sondern bequem auf dem Roller liessen wir uns in das hügelige und landschaftlich sehr reizvolle Hochland tragen. Die Chocolate Hills, mehr als 1200 runde Hügel, an die fünfzig Meter hoch, bei Trockenheit schokoladenbraun, sind ein bekanntes Ausflugsziel. Auf den ersten Blick würde man vermuten, dass die gleich aussehenden Hügel von Menschenhand geschaffen wurden. Über die Entstehung der Kalksteinbuckel sind sich die Geologen nicht einig. Uns gefällt folgende Legende am besten: Arogo, ein junger und kräftiger Riese, verliebte sich einst in Aloya, eine ganz gewöhnlich Sterbliche und Tochter eines Eingeborenenhäuptlings. Als sie starb brach ihm das das Herz und er weinte bitterlich. Seine Tränen wurden dabei zu Hügeln, die bis heute von seiner tiefen Trauer zeugen.

Die Vegetation ist einmal mehr atemberaubend. Neben Palmen gibt es Wälder mit altem, urtümlich anmutendem Baumbestand. Viele Blumen, Sträucher, Gummibäume und grossblättrige Stauden kennen wir als Zimmerpflanzen, nur sind sie hier viel, viel grösser. Erstmals säumen terrassenförmig angelegte Reisfelder die Strasse, Wasserbüffel ziehen Pflüge, gepflanzt wird von Hand. Wir geniessen die ruhige Abgeschiedenheit, nur ab und zu überholt uns ein Jeepney oder ein Motorrad. Und immer wieder wird zum Gruss gewunken. Ungewollt drosseln wir das Tempo und geniessen einfach; in Europa nennt man das Entschleunigung.

An der Nordwestküste von Bohol stellen wir überrascht fest, dass das Erdbeben vom vergangenen 15. Oktober hier grosse Schäden verursacht hat. Unsere Strasse wird alle paar hundert Meter von quer laufenden Brüchen und Gräben mit teilweise tückischen Verwerfungen unterbrochen, was zu aufmerksamem Fahren und abruptem Bremsen zwingt. Grosse Gebäude, vor allem alte Kirchen, sind stark beschädigt oder nur noch Trümmerhaufen. Ganze Häuserreihen entlang der Strasse stehen so schief, dass Wohnen eigentlich nicht mehr möglich ist. Alternativen – bis auf ein paar wenige Zelte – sind keine vorhanden, also „wohnen“ viele wieder in den einsturzgefährdeten Häusern und reparieren, soweit die Finanzen gerade reichen. Versicherungen gibt es keine, wer könnte schon Prämien bezahlen. Was uns beim ganzen Dilemma besonders verblüfft und beeindruckt ist, dass die Einheimischen nichts von ihrer Fröhlichkeit und Gastfreundschaft verloren haben und das Unvermeidbare hinnehmen: als Schicksal, das sich nicht beeinflussen lässt. Die Religion (ca. 83% der Bevölkerung sind Römisch-Katholisch), die für die Philippinos ernorm wichtig und im täglichen Leben nicht wegzudenken ist, hilft solche Tragödien zu verarbeiten und nicht zu verzweifeln.

In den nächsten Wochen sind weitere Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung geplant. Die Natur ist grandios, in vielen Variationen einmalig und etliche Ziele auf Panglao und Bohol lassen sich mit dem Roller bequem erreichen. Selbstverständlich gibt’s den einen oder anderen Badetag. Aber eben, an der Sonne liegen und braten ist nicht so unsere Sache. Ein absolutes Vergnügen dafür, dass jeden Tag viel Zeit zum Lesen bleibt. Trotzdem macht uns manchmal Mühe, keinen festen Tagesablauf wie beim Velofahren zu haben. Unsere vollbepackten Räder, unterwegs sein, jeden Tag ein neues Ziel ansteuern . . . wir vermissen unsere Velos und das Pedalen.

Die vier Wochen Heimaturlaub mit Zahnarztbesuch, Steuererklärung abgeben, Verwandte und Freunde besuchen und wieder mal Fondue und Rösti mit Wurstsalat geniessen waren sehr schön, aber anstrengend. Das Jahr fern der Heimat hat unseren Lebensrhythmus verändert. Die vorweihnächtliche Schweiz kommt uns hektisch und unglaublich teuer vor und wir freuen uns daher umso mehr, mit Sack und Pack aber für vier Monate ohne Velos, davon zu fliegen. Wir sind reif für die Insel.

Philippinen

Nach fast genau 24 Stunden Mammutreise über London, Seoul nach Cebu, davon 17 Stunden im Flugzeug und zwei auf der Expressfähre, kommen wir auf der Philippineninsel Bohol an. Nach der nasskalten Schweiz hauen uns die feuchtheissen 30 Grad fast um und mit oder ohne schweres Gepäck fliesst der Schweiss in Strömen. Die gemütliche Fahrt mit dem kleinen Suzuki-Pick-up an unser Ziel auf Panglao dauert dann noch eine halbe Stunde. Gespannte Vorfreude auf den mehr als 7`000 Inseln umfassenden Archipel im Pazifik und der ruhige Flug haben die lange Reise erträglich gemacht. Es ist für uns, wir geben es zu, nicht gerade ein Müssen die kalte Jahreszeit mit dem Sommer zu vertauschen. Noch ist der lange Winter mit Eis und Schnee im März in Rumänien und die langanhaltende Kälte bis Ende April in Polen nicht vergessen. Irgendwann damals war klar, der nächste Winter kann uns mal. Jetzt sind wir da – einfach schön!

Ob die Reise überhaupt wie geplant stattfinden kann, war nach dem Erdbeben und dem Taifun „Hayan“ nicht klar. Zum Glück hat das Beben nur kleine und der furchtbare Sturm keine Schäden auf Bohol hinterlassen. Trotzdem wurden offenbar viele Reisen storniert, was den Gastbetrieben, Ressorts, Jeepney-Fahrern, Strandverkäufern und letztendlich jeder Familie, weil alle direkt oder indirekt vom Tourismus leben, sehr zu schaffen macht. In einem armen Land, in dem nicht wenige nach einem Arbeitstag nur 100 Pilippinische Peso (ca. Fr. 2.50) in der Tasche haben, ein Desaster. Alle stürzen sich jetzt auf die wenigen Touris und versuchen ihre Dienste an die Frau/den Mann zu bringen. Ein echtes Dilemma und für uns manchmal belastend. Hoffentlich kommt das Saisongeschäft um die Festtage noch besser in Gang.

Die Philippinen und die Philippinos – jeder Tag eine neue Wundertüte für uns. Wie viele tausend Kilometer ist doch die streng reglementierte, perfekt organisierte und mit Gesetzen vollgestopfte Schweiz entfernt! Eine wundersame, ungeheuer spannende und entspannende Welt tut sich hier vor uns auf.

Selbstverständlich gibt es Gesetze auf den Philippinen, ebenso selbstverständlich werden viele, vor allem auf der Strasse, nicht eingehalten. Grundsätzlich gilt Rechtsverkehr, darauf sollte man sich aber nicht verlassen und immer mit allem rechnen. Bei Querstrassen besser abbremsen, zur Sicherheit kurz hupen. Die vielen Motorrad- und Rollerfahrenden sind bis auf Ausnahmen ohne Helm unterwegs (Helmtragen wäre Pflicht) und wer glaubt, dass keine vier Personen samt Einkäufe und Schulranzen auf einen Roller passen, war noch nie auf den Philippinen.

Die meisten (Beton)strassen in unserer Umgebung sind recht schmal und weisen keine Markierungen auf. Verkehrsschilder sucht man ausserhalb der wenigen Städte vergebens, Ortsschilder sowieso. Wozu auch, die Philippinos wohnen weit verstreut, etwas wie Adressen gibt es nur für moderne Ressorts. Auf den Strassen ist neben Hunden, Hühnern, Ziegen, Kühen und Fussgängern alles anzutreffen, was Räder hat und irgendwie noch fährt. Personenwagen sehen wir wenige, und wenn, dann sind sie oft in einem erbärmlichen Zustand und mehr Schrott als Auto. Was soll`s, daran stört sich niemand, Hauptsache das Ding fährt. Geld für ein neues Auto hat hier kein Philippino (mit Ausnahmen) und die, die sich ein neues oder gebrauchtes leisten können, müssen ohne Reparaturgaragen wie in der Schweiz auskommen und warten oft viele Wochen auf Reparaturteile – Ersatzwagen sind unbekannt.

Den öffentlichen Verkehr besorgen Motorräder, Tricycles und Jeepneys (Kleinbusse). Jeepneys halten auf Handzeichen an und spucken diejenigen Fahrgäste irgendwo wieder aus, die sich mit Klopfzeichen bemerkbar machen. Bezahlt wird beim Aussteigen beim Einkassierer. Absolut phänomenal ist das Fassungsvermögen der oft klapprigen, rostenden und furchtbar stinkenden Kleinbusse. Eingequetscht, wie Sardinen in der Büchse, sind wir mitgefahren ins 20 Kilometer entfernte Tagbilaran. 30 Mitfahrende sassen im Bus, seitwärts und hinten am Jeepney haben sich acht angehängt. Auf dem Dach reiten, falls nötig, locker nochmals ein halbes Dutzend neben Kartons, Tüten, Brettern und einem Beerdigungskranz (bei unserer Fahrt) mit.

Vielleicht gerade darum, dass hier Rücksichtnahme und Aufmerksamkeit im Verkehr überlebenswichtig sind, gibt es wenig Unfälle und alles funktioniert irgendwie ruhig, ohne aggressive Huperei, Fluchen, Rasen und Vordrängeln. Versicherungen haben eh nur Ausländer, also ist Vorsicht in jedem Fall die Mutter der Porzellankiste. Wir lassen uns im Verkehrsgewusel mit unserem Roller mittreiben und geniessen die willkommene Abkühlung.

 

Leider ist die Internetverbindung sehr langsam - wenn sie funktioniert. Wir melden uns daher in grösseren Abständen. Allen eine schöne Vorweihnachtszeit!