Armenien ist für uns ein Veloreiseland, das wir absolut empfehlen können. Wer es wagt, kommt in den Genuss von vielen Höhenmetern, sollte Zelt und Küche dabei haben und einsame Strassen lieben. Speziell nach Georgien ist das Pedalen bei fast keinem Verkehr ein Genuss.

Die Armenier waren uns gegenüber zurückhaltender als die Georgier, vor allem die Männer haben wir öfter als undurchschaubar empfunden. Unser iranischer Freund hatte zwei unangenehme Begegnungen, wir wurden bestohlen. Sicher Einzelfälle, trotzdem bleibt uns ein etwas bitterer Nachgeschmack.

Kurz nach Goris, an der Grenze zu Aserbeidschan
Kurz nach Goris, an der Grenze zu Aserbeidschan

Armenische Seidenstrasse

Aus den drei vorgesehenen Tagen bis Meghri an der iranischen Grenze sind letztendlich vier happige (Beas Lieblingswort, wenn es sehr anstrengend wird) geworden. Das Wetter bleibt schön, tagsüber klettert das Thermometer regelmässig auf 35 Grad oder etwas mehr. Wir fahren nach wie vor auf der armenischen Seidenstrasse, geniessen die vielen Blumen und wenn es hat, das Pedalen im Schatten der weiten Wälder entlang der Strasse. Shayan, unser iranischer Freund, hat uns einen Tag nach Goris verlassen. Er wird das erste Mal Onkel und weil er bald im Ausland studiert, möchte er die Zeit mit der Familie verbringen, was wir natürlich verstehen. In Teheran dürfen wir seine Gäste sein, worauf wir uns sehr freuen.

Rauf und runter, nur selten geradeaus. Das Programm der letzten Tage war einfach gestrickt. Nach Kapan kommt ein Pass, nur leider wissen wir nicht, wann er endlich anfängt. Etliche Anstiege entpuppen sich als normale Übergänge von einem Tal ins andere. Mühsam erarbeitete Höhenmeter werden mit schnellen Abfahrten zunichte gemacht. Zurück auf null und wieder von vorne, wie beim Würfelspiel. Zum Glück sind die meisten Anstiege noch fahrbar, aber die Hitze macht die Beine schwer, so schieben wir ab und zu ein paar Meter. Bei dem tollen Wetter und den fehlenden Möglichkeiten zum Übernachten kommen das Zelt und die Feldküche ausgiebig zum Einsatz. Wir geniessen die Zeltnächte sehr, vor allem wenn sie ruhig bleiben.

Nach schweisstreibenden 53 Kilometern verschnaufen wir endlich auf der Passhöhe. Kalt pfeift der Wind um die Ohren, der Verkehrstrom ist versiegt. Gerade mal ein Auto pro Stunde begegnet uns. Kein Dorf, keine Kühe, keine Tourenradler, nur Wald und zwei einsame Velofahrer im Irgendwo.

Ein erster Blick auf iranisches Gebiet jenseits des Arasflusses. Absolut krass, wie sich die Landschaft verändert hat. Vorher Wald bis auf 2000 m und grüne Weiden, nach der Passhöhe trockene Geröllhalden, Buschwerk, heftiger Gegenwind, der die enorme Hitze nur leicht mildert. Wir geniessen 26 km Abfahrt und hoffen, dass die Bremsen nicht überhitzen.

Eine Nacht im Hotel zum Duschen, dann geht’s am 25. Juni 2014 über die Grenze.

Armenien

„Armenien ist ein sehr ausgeprägtes Gebirgsland – 90% der Landesfläche liegen mehr als 1000 Meter über dem Meeresspiegel, die mittlere Höhe beträgt sogar 1800 Meter“ ist unter Wikipedia über Armenien, unserem 27. Reiseland, zu lesen. Unsere Waden und Oberschenkel können das nur bestätigen.

Stempel in den Pass und ab durch die Mitte. Für Armenien wie für Georgien ist kein Visum nötig. Die Grenze hat den Verkehr und vor allem die rasenden Georgier buchstäblich abgeschnitten, was uns mehr als recht ist. Die wenigen Autofahrer nehmen Rücksicht und mindestens jeder Dritte hupt zum Gruss. Bis nach Vanadzor windet sich die recht gute Strasse leicht ansteigend durch ein immer enger werdendes grünes Tal. Ab und zu ein kleines verschlafenes Nest mit neugierigen Einwohnern, dann wieder lange nichts. So viel ruhiges Fahren war lange nicht mehr. Wie schon oft, sehen wir tagsüber etliche schöne Plätze zum Zelten. Gegen Abend werden sie dann immer rarer und wir zunehmend ratloser. Das Tal ist zur Schlucht geworden, in die sich Strasse und ein wilder Fluss zwängen. Beim besten Willen findet sich kein Plätzchen für unser Zelt. Dann taucht unvermittelt ein grosses Hotel auf, an das sich ein kleiner Park anschliesst. Fragen kostet nichts. Ohne lange Diskussion erlauben uns die Verantwortlichen unser 1000-Sterne-Hotel für eine Nacht im Garten des 4-Sterne-Hotels aufzubauen. Nach dem obligaten Bier reservieren wir uns im Hotel einen Tisch für das Morgenessen. Eine Hand wäscht die andere.

Die nächsten Tage geht’s steil bergauf und bergab. Der Sevani-Pass, 2114 m, wird ein erster Höhepunkt, wenigstens für Pit. Bea wählt den 2,5 km langen Scheiteltunnel, Pit nimmt die etwas längere alte Passstrasse mit vielen Kurven unter die Pedale. Auf der Passhöhe tut sich ein fantastischer Blick auf. Im Vordergrund eine weite Hochebene voller Margriten und im Hintergrund der tiefblaue Sevansee. Seit Tagen gibt es Sonne pur mit bis zu 35° tagsüber, was den Wasserverbrauch in die Höhe schnellen lässt. Regelmässig braut sich nachmittags ein Gewitter zusammen, das sich dann – wir Glückspilze – erst entlädt, wenn das Zelt steht.

Nachts wird es auf 1500 m recht kühl. Unser Heim ist am Morgen innen und aussen nass. Trotzdem, wir geniessen die Zeltnächte sehr.

 

In Gavar am Sevansee treffen wir den jungen Iraner Shayan. Ohne Zelt, nur mit Schlafsack und Bikerrucksack ist er mit seinem Mountainbike von Teheran nach Yerevan gefahren und nun auf dem Heimweg auf derselben Strecke wie wir. Der ruhige und höfliche Student ist uns sympathisch (er mag Bier ebenso wie wir) und darum haben wir nichts dagegen, dass er sich uns für ein oder zwei Tage als Reisepartner anschliessen möchte. Er fährt tagsüber für sich (ein Armenier meinte, der Typ sei wie ein Roboter vorbei gesaust), nur dann und wann treffen wir uns auf ein Kühles. Unser Zelt ist gross genug für drei Personen, wir kochen und essen zusammen, erfahren viel über den Iran und seine Sitten aus erster Hand und so werden wir vielleicht bis an die iranische Grenze gemeinsam fahren, sofern er sein Armenienvisum verlängern kann.

Die Landschaft in Armenien fesselt uns jeden Tag aufs Neue. Weite grüne Hochebenen, nur sehr dünn besiedelt, die das Auge fast nicht erfassen kann. Selbst auf 2300 m ü.M. werden Gemüse, Kartoffeln und etwas Getreide angepflanzt. Die wenigen kleinen Siedlungen bestehen aus Bruchstein gebauten einfachen Häusern, windschiefen Ställen für Schafe, Kühe, Pferde, vielleicht einem oder zwei ganz kleinen Einkaufsläden, einem Stehausschank und irgendwo hämmert ein Armenier an einem Auto herum. Nur Landwirtschaft, keine Industrie, keine Apotheke, kein Supermarkt, kein Restaurant.

Jeden Tag strampeln wir einen Pass oder zumindest so viele Höhenmeter, dass man zusammengerechnet  daraus einen Pass machen könnte. Die Strasse von Sevan nach Meghri ist die einzige Verbindung über Armenien in den Iran und ein Teil der Armenischen Seidenstrasse. Auf der Route sind grosse iranische Lastwagen mit Bitumen für die Nachbarländer unterwegs, die uns mit schwarzen Abgaswolken einhüllen. Nobelmarken, wie in Georgien, fehlen fast ganz, dafür gehören uralte LKWs aus Sowjetzeiten und klapprige PWs zum normalen Strassenbild.

Am Vorotan-Pass
Am Vorotan-Pass

Nächtlicher Besuch

Für den Vorotanpass brauchen wir viel Zeit. Mächtig türmen sich schwarze Wolken am Himmel, fernes Donnergrollen. Erst nach 18 Uhr kommt ein annehmbarer Zeltplatz, abseits einer Siedlung, in Sicht. Kaum steht das Zelt, öffnen sich die Himmelsschleusen, zum Glück nur für kurze Zeit. Wir sind müde und liegen darum schon bald nach dem Essen in den Schlafsäcken. Die Velos stehen gesichert neben dem Zelt. Eine gute Stunde später hört Pit, der noch nicht einschlafen kann, Schritte neben dem Zelt und sieht eine Taschenlampe kurz bei den Rädern aufleuchten. Macht sich da jemand an unserem Eigentum zu schaffen? Rasch schlüpfen er und Shayan, bewaffnet mit Taschenlampe und Messer, aus dem Zelt. Die Regenhosen und –gamaschen von Pit sind verschwunden, der kleine Packsack von Bea, am Lenker befestigt, liegt am Boden. Vom Dieb keine Spur. Wir hätten den Zeltplatz versteckter wählen und gleich von Anfang an unsere „Schellensicherung“ anbringen sollen. Oder sind wir im Verlauf der Reise zu sorglos geworden, weil nie nur das Geringste passiert ist? Misstrauen ist ein schlechter Reisebegleiter und trifft immer die Falschen. Trotzdem, ein bitterer Nachgeschmack bleibt, vor allem bei Pit.

 

In Goris findet Shayan ein tolles Familienhotel, ideal für einen Pausentag zum Waschen, die Räder kontrollieren und Neues auf die HP zu bringen. Noch drei anstrengende Tage bis an die iranische Grenze erwarten uns. Shayan hat sein Visum für Armenien um fünf Tage verlängern können. Wir freuen uns auf die gemeinsame Weiterreise.