Kirgistan – überwältigende Natur, hohe Pässe und Radfahren vom Schönsten

Wir rechnen mit vier Tagen bis zur chinesischen Grenze. Zeit ist genug da, bleiben die Grenzen am 6. und 7. September doch wegen des „Herbstfestes“, eines Feiertages im Reich der Mitte, geschlossen. (Das Herbstfest wird am 8. September gefeiert, was Pit leider übersieht). Wir staunen, eine aufstrebende Industrienation mit 1,3 Milliarden Menschen leistet es sich, wegen Feiertagen 2014 ganze 27 Tage die Grenzen zu schliessen. Nicht auszudenken was in der Schweiz los wäre, blieben die Schlagbäume nur am 1. August unten . . .

Die gut ausgebaute Strasse schlängelt sich durch ein breites Tal, gewinnt ein paar Höhenmeter, die sie gleich wieder verliert. Ein beständiges Auf und Ab. Dann und wann eine kleine Siedlung, die auf der Karte nicht verzeichnet ist. Wenn wir Glück haben gibt es einen Minishop. Keine Restaurants, keine Tankstellen, geschweige denn Gewerbe oder Industrie. Tierhaltung und wenig Ackerbau scheinen einzige bescheidene Einnahmequellen für die kirgisische Bevölkerung zu sein. 95% des Landes sind gebirgig, lediglich 20% der Landfläche eignen sich zur landwirtschaftlichen Nutzung. Im Süden kann es im Sommer 45 Grad heiss werden, im Winter fallen die Temperaturen bis minus 20 Grad. In den nächsten Tagen ist eine Internetverbindung nirgends möglich. Wie das Leben hier wohl in den langen kalten Wintermonaten sein muss?

Erst auf den letzten zwanzig Kilometern steigt die Strasse kräftig an, spüren wir die dünnere Luft beim Atmen. Öfters begegnen uns in diesen Tagen Hirten, die Pferde, Kühe und grosse Schafherden in tiefere Lagen treiben. Immer ein grosses Spektakel, wenn sich Autos und Camions einen Weg durch die Herden hupen.

Die Kirgisen erleben wir als zurückhaltend-nett. Kaum Scheu kennen die Kinder. Jede Abwechslung ist willkommen. Mit grossem Hallo stürmen sie zur Strasse und werden nicht müde, dutzende Male „hallo“ und „good by“ zu rufen und uns möglichst noch hundert Meter hinterher zu rennen. Weniger willkommen sind die wenigen, die erst ein paar Steine aufklauben um sie uns nachzuwerfen. Als Pit ihnen andeutet, dass er ihre Ohren länger ziehn wird als die der vielen Esel rundum, lassen sie uns in Ruhe. Vorneweg gleich „Pflöcke einschlagen“, ist in solchen (seltenen) Situationen das Beste.

Fahrradhändler und Werkstatt im Basar in Osh. Hier findet man (fast) alles.
Fahrradhändler und Werkstatt im Basar in Osh. Hier findet man (fast) alles.

Unser erstes Camp nach Osh wird auf dem Chyrchyk Pass, 2405 m, aufgeschlagen. Die Pferdehirten überlassen uns gerne den flachen Platz, auf dem bis vor Tagen eine Jurte stand und natürlich sagen wir nicht nein, als sie uns eine Handvoll Tomaten schenken. 1866 Höhenmeter stehen am Abend in der Statistik.

Die Nacht wird kalt, tief kriechen wir in die Schlafsäcke und können kaum glauben, dass wir vor zwei Tagen noch bei 35 Grad geschwitzt haben.

Die Landschaft hat sich allmählich verändert. Aus sanften Hügeln sind Berge geworden, die bei wechselndem Licht in den verschiedensten Rot- und Brauntönen leuchten. Wunderschöne Natur nach den Städten in den letzten Wochen.

Der Taldyk Pass ist mit seinen 3580 Metern eine kleine Nummer unter den fahrbaren sehr hohen Gebirgspässen in der Region, manche mehr als 5000 Meter hoch. Wir haben trotzdem kräftig zu kauen, schnaufen wie Arbeitspferde und sind froh, am späteren Nachmittag endlich oben zu sein. Die Serpentinen vor der Passhöhe hatten es in sich, wollten kein Ende nehmen. So hoch sind wir noch nie geklettert.

Carol und Martha aus Polen kommen vom Pamir Highway.
Carol und Martha aus Polen kommen vom Pamir Highway.

Atemberaubend dann der Ausblick bei der flotten langen Abfahrt nach Sary-Tash. Wie in einem Theater, wenn sich der Vorhang langsam öffnet, erscheint das Pamirgebirge als leuchtende, schneebedeckte Bergkulisse hinter einer riesigen Ebene, deren Weite wir nicht überblicken. Mittendrin, breit und behäbig, die Gletscher und Schneeflanken leuchten im Nachmittagslicht, der Pik Lenin mit seinen imposanten 7134 Metern.  Wir sind überwältigt, staunen, finden kaum Worte. Für genau solche Augenblicke lohnen sich alle Velomühen.

Nach einer Nacht in einem Homestay in Sary-Tash pedalen wir in freudiger Erwartung Richtung Irkestampass und geniessen die wegen der geschlossenen Grenze völlig verkehrsfreie Strasse. Die Bergkulisse steht an diesem Tag nur für uns. Weit und breit kein Auto, kein Lastwagen, keine Velofahrer. Stille, Ruhe, nur das Singen unserer Räder auf dem Asphalt. Grandios . . . Auf unserer Karte ist noch die alte Strasse auf den Irkestampass eingetragen. Die neue, von den Chinesen gebaute, führt in weiten Bögen zum höchsten Punkt, 3766 m.

Heute bis zur Grenze und morgen früh gleich rein nach China, das ist unsere Absicht.

25 Kilometer Downhill auf neuer Strasse ohne Verkehr – mehr kann sich ein Velofahrer kaum wünschen. Wir lassen den Wind um die Nase wehen und sind froh, in Osh neue Bremsbeläge montiert zu haben. Die Felgen werden heiss, sind kaum anzufassen. Nach einer Polizeikontrolle und einem kurzen Gegenanstieg mit Abschlusssprint nach Irkestam ist aprupt Schluss mit Fahren. Das kirgisische Grenztor bleibt bis übermorgen, 8. September, wegen des chinesischen Feiertages geschlossen.

Der „Ort“ besteht aus ein paar einfachen Baracken, alten Bauwagen die als Unterkunft, Tante-Emma-Laden und Wechselstube dienen, drei Tankstellen, grossen Parkplätzen, Schrott, der ins Reich der Mitte exportiert wird und einigen abgestellten grossen Trucks mit gelangweilten chinesischen Fahrern. Bis auf einen Minishop ist alles geschlossen, Bier ist beim besten Willen nicht aufzutreiben. Überall liegen Scherben herum. Also ein richtig einladender Ort um zwei Nächte und einen Tag auf die Grenzöffnung zu warten.

Wir finden trotzdem ein ruhiges Plätzchen abseits und geniessen wider Erwarten den unfreiwilligen Ruhetag im Zelt mit Ausschlafen, Statistik nachführen und Lesen.

Am zweiten Abend gesellen sich Virginie und Camille zu uns. Sie sind vor fünf Monaten in Südfrankreich mit dem Velo losgefahren und auf dem Weg nach Singapur. Und als sie vom Einkaufen mit Bier zu unserem Zelt kommen, ist die Welt erst recht in Ordnung. Virginie spricht Mandarin und Camille etwas Arabisch, was uns in den nächsten zwei Tagen beim Grenzübertritt sehr helfen wird.

 

Hotel Osh-Nuru, Osh, Bayalinova Street 1, osh-nuru@mail.ru

Günstiges Hotel im Zentrum mit sehr gutem WiFi.