Guatemala: 16,6 Millionen Einwohner

Hauptstadt: Guatemala City

 

22. Juli bis 6. September 2018

813 km und 11'300 Höhenmeter mit dem Fahrrad gefahren.

Ein letztes Mal richtig zuschlagen in Guatemala! Das Land hat uns sehr gefallen.
Ein letztes Mal richtig zuschlagen in Guatemala! Das Land hat uns sehr gefallen.

3. bis 6. September 2018

 

Wieder in Guatemala

Auf dem Programm stehen nochmals vier Tage Guatemala. Das Pedalen bleibt anstrengend; durchschnittlich kommen täglich mehr als 1000 Höhenmeter zusammen. Vor Ipala geraten wir in ein heftiges Gewitter nahe einer Passhöhe; alles Warten in einem Unterstand nützt nichts, die Schleusen bleiben offen, wütend haut der Himmel mit Blitz und Donner auf den Berg ein. Ungemütlich. Wir fügen uns kurz vor dem Einnachten ins Unvermeidliche und schlottern Ipala zu. Die durchgeschwitzten Kleider kleben bei der regennassen Abfahrt unangenehm kalt am Körper. Bei Regen und Dunkelheit fahren ist heikel, hier besonders, weil die Strasse da und dort tückische Löcher und Wellen hat. Die heisse Dusche belebt die Lebensgeister; heute reissen wir keine Bäume mehr aus.

Die Laguna de Atescatempa kurz vor der Grenze zu El Salvador.
Die Laguna de Atescatempa kurz vor der Grenze zu El Salvador.

Mehr und mehr macht sich eine physische und psychische Müdigkeit bemerkbar, sicher auch, weil ein Ende der Mittelamerikatour abzusehen ist. Immer häufiger geniessen wir in Gedanken Schweizer Köstlichkeiten, die seit langem fehlen – gutes dunkles Brot, Cervelats, richtig guten Käse, frische Bohnen mit Geräuchertem, Käsekuchen, Nüsslersalat und Röselichöli, Käsefondue, und, und, und . . . hmmm . . . allein das Träumen und davon Reden lässt das Wasser im Mund laufen.

Ende Oktober möchten wir nach fast zwei Jahren auf Tour wieder einen Zwischenhalt in der Schweiz einlegen. Wir freuen uns auf so Vieles, ganz besonders aber all unsere lieben Freunde zu treffen.

 

El Salvador, unser 51. Veloreiseland liegt vor uns. Wir verabschieden uns vom schönen, interessanten Guatemala mit seinen gastfreundlichen, offenen Menschen mit vielen tollen Erinnerungen im Gepäck. Das mittelamerikanische Land durften wir so anders erleben, als es in Reisehinweisen (korrekter sind es Reisewarnungen) beschrieben wird.

Ab 16.8. 2018


Markttag in Tactic. Die Menschen sind ausgesprochen freundlich und hilfsbereit. Andere Touris sehen wir keine.
Markttag in Tactic. Die Menschen sind ausgesprochen freundlich und hilfsbereit. Andere Touris sehen wir keine.
Eine frische Kokosnuss zur Begrüssung in Panzos, das lassen wir uns gerne gefallen!
Eine frische Kokosnuss zur Begrüssung in Panzos, das lassen wir uns gerne gefallen!

Bea bekommt Profil!

In Coban lassen wir es uns einige Tage gut gehen. Nach einem einmaligen Ausflug in ein tolles Restaurant (wir meinen, wir haben es verdient, nicht billig, aber ein Gaumenschmaus) wetzt Bea die Messer, schwingt den Kochlöffel und verwöhnt uns im angenehmen, ruhigen Hostal Casatenango nach Strich und Faden. Meist sind wir allein in der Küche. Die tägliche Runde durch die kleine Stadt endet jeweils im Supermarkt, da gibt es sogar bezahlbaren Wein im Tetrapack. Man gönnt sich ja sonst nichts.

In gut zu fahrenden Steigungen gehts über viele Kurven und durch kleine Dörfer nach Tactic. Die unzähligen Collectivos, neben wenigen Bussen einzige öffentliche Verkehrsmittel, sind meist überladen. Wer sich nicht mehr hineinquetschen kann steigt aufs Dach und hockt sich irgendwie zwischen das Gepäck. Nahezu alles was in Guatemala auf der Strasse erlaubt ist oder einfach gemacht wird, ist in der Schweiz verboten. Wir kennen das von anderen Ländern, trotzdem aufmerksam bleiben und mit allem rechnen, heisst die Devise.

Schwierig, all dem Müll und den Scherben am Strassenrand auszuweichen. Bea sorgt heute für zusätzliche Arbeit. Wieder mal ein Platten, natürlich hinten. Wir ziehen gleich einen neuen Reifen auf; nach 16'000 km ist der alte glatt wie ein Kinderpopo. Bea hat wieder Profil!

 

Markttag in Tactic. Das bunte Treiben in den Strassen gefällt. Fast alle Frauen sind in den schönen traditionellen Röcken, farbigen Blusen und gehäkelten Tops unterwegs, derweil sich der Himmel schwarz färbt und uns antreibt, rasch eine Bleibe für die Nacht zu finden. Hier gibt es weit und breit keine Touristen. Man winkt uns zu, grüsst, lacht und zwischendurch kommt von irgendwo her ein „good bye“. Mehr Englisch geht nicht. Egal, wir fühlen uns willkommen, die Offenheit und Freundlichkeit ist ansteckend.

„Wollt ihr bei mir zu Hause an einem trockenen Platz übernachten?“, spricht uns Yvonne mit einem Lachen auf Englisch an. Keine Frage, das passt bestens! Wir dürfen unser Zelt im neuen, fast fertigen Restaurant aufstellen und ein feines traditionelles Abendessen mit der Familie geniessen; rund um uns herum toben acht Hunde (drei bleiben im Zwinger). Drei- bis viermal die Woche gibt es in der Nachbarschaft eine Musikparty bis in die späte Nacht, warnt uns Yvonne vor. Mit brummenden Köpfen kriechen wir am Morgen aus dem Zelt; bis gegen zwei Uhr hat man auf uns eingehämmert, pausenlos. Guatemalteken sind hart im Nehmen. Muchas gracias, Yvonne, auch für das Morgenessen! 

Muchas gracias, dass wir deine Gäste sein durften, Yvonne!
Muchas gracias, dass wir deine Gäste sein durften, Yvonne!
Walters Frau hat deutsche Wurzeln. Er offeriert uns deutsche Wurst von einem deutschen Metzger zu guatemaltekischem Bier. Vielen Dank, Walter! Es war spannend mit dir zu reden.
Walters Frau hat deutsche Wurzeln. Er offeriert uns deutsche Wurst von einem deutschen Metzger zu guatemaltekischem Bier. Vielen Dank, Walter! Es war spannend mit dir zu reden.

Nach sechs Kilometern sagt die neue Betonfahrbahn tschüss. So schön die Strecke zu holpern ist, so mühsam ist das Vorwärtskommen in den nächsten Tagen. Sieben Stunden malträtieren wir unsere Hintern auf teilweise sehr steilen Abschnitten abwärts bis Santa Catalina la Tinta, 60 Kilometer ostwärts. Arme und Hände schmerzen vom ständigen Bremsen, nur nicht unkonzentriert werden und einen Sturz riskieren. Unsere schweren Räder lassen sich kaum bändigen, kommen sie mal ins Rutschen.

Ab und zu ein Collectivo, selten ein Auto, Motorräder. Einmal mehr geniessen wir eine einsame Strecke abseits der grossen Trampelpfade. Bis weit die steilen Hänge hoch wachsen Mais und Bananen, auf kleinen Wiesen weiden ein paar Kühe, Schweine auf der Strasse, Hühner. Bauern schleppen schwere Brennholzbündel für den heimischen Herd. Eine überschaubare Welt, die sich so sehr von der unsrigen in Europa unterscheidet. 

Einmal mehr zu denken geben uns die Lebensumstände, in denen hier in Guatemala viele Menschen leben, oder korrekter gesagt, überleben in Schmutz und Elend. Einfache Bretterverschläge und ein Dach aus Palmwedeln, gestampfter Lehmboden, kein fliessendes Wasser, Kochen über dem Feuer, Körperpflege und Wäsche waschen im nahen (schmutzigen) Fluss, einzige Möbel sind Hängematten, Tisch und Stühle. Schweine, Enten und Hühner um und in den Hütten, Feuchtigkeit, grosse Pfützen und Morast wenn es regnet, Unrat. Elektrizität gibt es nicht immer. Allerdings spielt fast jede und jeder auf einem Smartphone herum. Wie anders ist die guatemaltekische Welt doch abseits der Städte und Touristen-Hotspots.

Manche lachen, wenn sie uns sehen. Warum mit dem Fahrrad abmühen, wenn die Gringos doch mit einem Auto reisen könnten? Wir sind froh, dass die Lacher nie mit uns tauschen würden, wir möchten es mit ihnen erst recht nicht.

65 Rappen Strassenzoll wird fällig, dafür bessern die Jungs die Strasse aus.
65 Rappen Strassenzoll wird fällig, dafür bessern die Jungs die Strasse aus.

Auf dem App iOverlander ist vermerkt, dass die Strasse vor El Estor möglicherweise blockiert und Geld für die Durchfahrt verlangt wird. Vor uns tauchen drei junge Burschen auf, die die grossen Löcher der Strasse mit Schutt ausbessern, hinter ihnen liegt quer ein Baumstamm auf der Strasse. Schüchtern meint der Jüngste, dass wir für den Strassenunterhalt 5 Quetzal, etwa 65 Rappen, zu bezahlen hätten. Für uns beide? Er nickt, sein Herz ist schon fast in die Hose gerutscht, wie uns scheint. Kein Problem, wir vergelten die Arbeit gerne, dürfen noch eine Foto machen.

Wir haben Glück, die Strasse ist fast trocken (Hauptstrasse nach Rio Dulce).
Wir haben Glück, die Strasse ist fast trocken (Hauptstrasse nach Rio Dulce).

Vor El Estor, einem Bergbauort, fahren wir an einer grossen Nickelmine vorbei. Die üble Geschichte der Grube reicht bis in die 1960er Jahre zurück, sie handelt von einer kanadischen Minengesellschaft, Vertreibung, Vergewaltigungen, Mord. Uns wird klar, warum bewaffnetes Wachpersonal die Eingänge kontrolliert und wir besser auf Fotos verzichten. http://www.peacewatch.ch/fileadmin/user_upload/guatemala/dokumente/150908_Zusammenfassung-ElEstor-def.pdf

Am Ende des 48 km langen Izabal Sees, dem grössten Gewässer Guatemalas, das allerdings nur maximal 18 m tief ist, erreichen wir den kleinen Ort Rio Dulce. Der See ist sehr fischreich, hier kommen neben Manatis (Seekühen) auch Bullenhaie vor, die über den Fluss Rio Dulce aus der Karibik einwandern. (Bisse des Bullenhais sind kaum von denen des Weissen Hais zu unterscheiden; wir verzichten auf das Baden :)

Hier auf dem Land leben die Menschen in sehr einfachen Verhältnissen.
Hier auf dem Land leben die Menschen in sehr einfachen Verhältnissen.

Wir rauschen mit einem kleinen Motorboot mit fast 50 Stundenkilometern auf dem Rio Dulce nach Livingston an der Karibikküste. Zum Glück ist das Wasser ruhig, unsere Fahrräder sind gut gesichert. (Die Bootsfahrt über das Meer nach Puerto Barrios zwei Tage später, wird deutlich ruppiger; die Velos tanzen einen feurigen Czardas, wir mögen gar nicht mehr hinsehen. Bea hat vom Motorbootfahren ohnehin vorläufig die Nase voll. Lieber hohe Pässe erklettern als mit kleinen Booten auf dem Meer schippern).

Am Ufer zeigen reiche Ausländer ihre Villen mit protzigen, teuren Yachten; die gedeckten Bootsports sind deutlich grösser als die einfachen Hütten der Einheimischen im Gebüsch irgendwo dazwischen. 

Die Bootsfahrt von Rio Dulce nach Livingston dauert 75 Minuten.
Die Bootsfahrt von Rio Dulce nach Livingston dauert 75 Minuten.

Das touristische Livingston ist nur über den Rio Dulce und über das Meer von Belize oder Puerto Barrios erreichbar. Strassen gibt es keine.

Livingston ist bekannt für seine ungewöhnliche Mischung verschiedener Volksgruppen und Kulturen. Tatsächlich sind auf den Strassen Menschen aller Hautfarben anzutreffen. Wer karibisches Flair sucht, dem wird der Ort gefallen, selbst wenn das trübe Meer alles andere als typisch karibisch zum Baden einlädt. In Erinnerung bleibt uns der geprobte Weltuntergang in der zweiten Nacht. Fast drei Stunden lang blitzt und donnert es im 10-Sekunden-Takt dass die Wände zittern und uns die Haare zu Berge stehen; unglaubliche Wassermassen stürzen vom Himmel. Ein tropisches Gewitter, wie nie vorher erlebt. Der Strom fällt so oder so jeden Tag ein paar Stunden aus. Gut so, das Geplärre aus den diversen Lautsprecherboxen vermissen wir keine Sekunde.

Unser gemütliches Hostal in Livingston, direkt am Meer.
Unser gemütliches Hostal in Livingston, direkt am Meer.

Wir treffen in unserem gemütlichen Hostal alte „Bekannte“ wieder, d.h., junge Backpacker mit Rucksack oder Rollköfferchen, die kaum einen Gruss erwidern oder gänzlich stumm bleiben; wir nennen sie nur Verschüpfte. Solche Traveler halten sich ausschliesslich in Touristenhotspots auf, bringen andere Reisende mit ihren lauten Partys um den Schlaf und pennen sich am nächsten Morgen im klimatisierten Bus hinter zugezogenen Gardinen zur nächsten Sause. Wir begegnen ihnen immer wieder. Wie verschieden doch Velo- und Backpackerwelten sein können.

 

Von Puerto Barrios bis zur Grenze nach Honduras sind es noch 35 km.

 

Einfach grandios, wie die beiden älteren Cracks mit dem Velo im Leben unterwegs sind. Sie sind uns – wie andere liebe Freunde und Bekannte – ein Beispiel, wie man zufrieden und aufgestellt älter werden kann:

https://www.facebook.com/SunLifeUK/videos/279659212625589/

Ab 5.8. 2018


Autoreparaturwerkstätte und Restaurant in einem? In Guatemala kein Problem.
Autoreparaturwerkstätte und Restaurant in einem? In Guatemala kein Problem.
Ein Lieferant schenkt uns Erdnüsse als Motivation für die nächsten steilen Abschnitte. Wir haben kaum Zeit ihm richtig zu danken, schon ist er weg.
Ein Lieferant schenkt uns Erdnüsse als Motivation für die nächsten steilen Abschnitte. Wir haben kaum Zeit ihm richtig zu danken, schon ist er weg.

Tortillas, Bohnenmus und Kaffee

Weil der Geldautomat in El Remate mit unseren Bankkarten nichts anfangen kann, waren wir gezwungen, zweimal mit dem Collectivo nach Santa Elena, den Vorort von Flores, ins grosse Einkaufszentrum zu fahren. Jetzt rollen wir definitiv auf der schmalen, nördlichen Seestrasse der Insla de Flores zu. Kaum Verkehr, asphaltierte Strasse; eine gute Idee - die spätestens zehn Kilometer weiter zu Pit's Schnapsidee wird. Üble Buckelpiste und steile Anstiege die uns nach Tagen süssem Nichtstun aus der Reserve locken. Wir wuchten gemeinsam Beas schweres Rad die Rampen hoch. Eigentlich war von Fahren die Rede. (Bea in der Wiederholung: „nächstes Mal müssen wir die Etappe besser vorbereiten, auf solche Strassen habe ich im Moment absolut keine Lust“. Pit schuldbewusst: „..............“)

Blitze und fernes Donnerrollen, ein paar Häuser, Schweine und Hühner auf der Strasse;

wir quetschen uns unter ein kleines Dach bei einer Strassenküche und schon öffnen sich die Schleusen. Passt doch! Die junge Wirtin stellt uns einen Teller Rührei, Tortillas und heissen, gekochten Randen auf den Tisch. Hmm, riecht das gut! Wie schnell doch unsere kleine Welt in Ordnung ist. Als wir bezahlen wollen, lehnt sie lachend ab. 

Wir erliegen der Versuchung und machen uns in einer Regenpause davon. Einige Kilometer weiter stehen zwei begossene Pudel im Wasser, bis auf die Haut nass. Was soll's, bald beginnt die Regenzeit, wir können schon etwas üben. Beschissen sind die nassen Schuhe, bei dem heiss-feuchten Wetter ist Trocknen ein echtes Problem.

Die europäischen Touristen, eigentlich sind es Holländer und Franzosen, haben die kleine Insel Flores mit ihren schmalen Gassen und bunten Häusern erobert und ins Herz geschlossen. Gut für einen kurzen Zwischenstopp. Wir bleiben zwei Nächte, trocknen unsere Klamotten und ziehen nicht ungern weiter.

Das Pedalen bleibt abwechslungsreich, so wie das Wetter. Die heftigen, regenreichen Gewitter am Nachmittag, auf die wir uns wohl einstellen müssen, lassen uns täglich sprinten weil natürlich genau dann, wenn die ersten grossen Tropfen fallen, weit und breit kein Dach in Sicht ist. 

Sobald sie uns sehen, gibt es stets ein grosses Hallo. Zeit zum Verschnaufen, die wir uns gerne nehmen.
Sobald sie uns sehen, gibt es stets ein grosses Hallo. Zeit zum Verschnaufen, die wir uns gerne nehmen.

Touristen sind auf der Strasse rar, das merken wir an den neugierigen Gesichtern in den Dörfern. Filmriss. Für Augenblicke fällt der Schulunterricht aus, verharren Bauarbeiter mitten im Betonieren, werden Gespräche unterbrochen, lassen Bauern die Machete sinken, verstecken sich Kinder hinter la madre – Ausserirdische pedalen durch das Dorf. Selbst Kühe vergessen das Grasen bevor sie nach Schrecksekunden vor zwei Velofahrern Reissaus nehmen.

Das ganz grosse Hallo beginnt, wenn wir Schulkinder auf dem Heimweg überholen. „Gringo!, Gringo!, woher kommst du?, wohin fährst du? wie heisst du?“. Andächtig und mit grossen Augen versuchen sie zu verstehen, dass wir von sehr weit her kommen und viele Kilometer mit dem Velo gefahren sind. Die Welt ist für die Rotznasen nach dem übernächsten Dorf so unbekannt wie Winter, Schnee und Eis. Kaum einer von ihnen wird vermutlich je die Mittel haben, um einfach zum Vergnügen zu reisen.

Das Radfahren macht Spass und die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Guatemalteken ist schon fast sprichwörtlich. Gestern Abend hat die Köchin im Restaurant um die Ecke extra für uns Pommes zum grillierten Huhn gezaubert. Eigentlich haben wir nur schüchtern gefragt, ob es anstelle von Reis auch Fritten gibt. Peinlich, solche Extrawürste, aber das Strahlen in den Augen der Köchin, weil es den Gringos schmeckt, war entwaffnend schön.

 

Neben Gemüse und Bohnen wird vor allem Mais bis in steilste, felsige Lagen angebaut. Ohne Mais keine Tortillas und ohne Tortillas ist hier in Guatemala schlicht keine Speise denkbar. Man füllt die runden Fladen, die aussehen wie Karton und auch so schmecken, nämlich nach nichts, mit allem Möglichen, würzt mit hauseigener Salsa – natürlich richtig scharf – rollt das Ding und beisst genussvoll hinein (. . . bevor der flüssige Inhalt am andern Ende wieder herausläuft, wie bei uns Anfängern ab und zu). Nie fehlen darf ein grosser Löffel dunkles Bohnenmus (manchmal sehr flüssig), das Pit mag. Bea kann mit der Pampe nichts anfangen, schon das Aussehen erinnert sie an Unappetitliches.

Zwischendurch trompeten Brüllaffen nahe der Strasse; der Verkehr beschränkt sich auf wenige Autos, einige Lastwagen mit Rindern und Palmölfrüchten, dafür brausen Dutzende Motorräder an uns vorbei. Vielen Guatemalteken ersetzt die Italika oder die 125er Suzuki das Familienauto. Papa, Mama und drei Kinder finden ohne Probleme Platz, gefahren wird sowieso fast immer ohne Helm. Uns graut oft, wenn der Kleinste vorne auf dem Tank kauert, Mama den Säugling auf einem Arm balanciert und sich die Älteste zuhinterst an la madre krallt. In Guatemala gibt es mehr Schutzengel als anderswo.

Hinter Sayaxche fahren wir ein Stück durch den Nationalpark El Rosario. Der dichte, dunkle Regenwald mit seinen grossen Palmen, mächtigen Bäumen, Philodendren und grossfächrigen Farnen überdacht die Strasse, ja scheint sie und uns fast zu erdrücken. Die Natur hat hier eine sattgrüne Urgewalt, wie sie nur in den Tropen vorkommt. Wie wichtig doch solche Oasen sind, in denen der Mensch ausser Staunen nichts darf.

Aldea Semuy, Dorf der Schreiner. Wir zählen mindestens ein halbes Dutzend Betriebe. Mit einfachen Mitteln werden schöne Möbel gefertigt.
Aldea Semuy, Dorf der Schreiner. Wir zählen mindestens ein halbes Dutzend Betriebe. Mit einfachen Mitteln werden schöne Möbel gefertigt.
Joni und Eliana leisten uns eine Weile Gesellschaft.
Joni und Eliana leisten uns eine Weile Gesellschaft.

Steil – steiler – Guatemala

Nach Las Pozas warten wir erst mal 40 km auf eine Kurve. Etwas rauf uns runter, ja (manchmal so steil, dass wir gerne ein paar Meter schieben), aber sonst passiert nicht viel. In Ermangelung einer günstigen Unterkunft buchen wir eine Nacht in der teuren Candelaria Lodge mit ihren geschmackvoll eingerichteten Bungalows, die wunderschön in einem urwaldähnlichen Park liegen. Der Besitzer, ein mürrischer Franzose mit dicker Wampe, der kein Wort Englisch spricht, gibt per Anschlag den Tarif durch: alkoholische Getränke und Esswaren sind in der Lodge nicht erlaubt. Da unser Budget mit der Übernachtung bereits überzogen ist, gibt's heute Pasta, feinen Schinken und Tomaten- /Gurkensalat aus der Bepitha-Küche, dazu ein kaltes Helles, genossen auf der hauseigenen Terrasse. Ein wirklich schöner Platz!

Nun tauchen wir definitiv in die Berge ein. Waren die Hügel bisher eher Pickel in einem Teenagergesicht werden sie nun zu Beulen, die in den Oberschenkeln brennen. Das ruppige Auf und Ab kostet Energie; wir lassen uns nicht stressen und verkürzen die Tagesetappen. Zeit spielt für uns kaum eine Rolle.

Chisec. Mücken mögen Feuchtigkeit und Wärme und ganz besonders Bea's Beine. Die Stiche der Biester jucken, höchste Zeit in einer der vielen, vielen Farmacias – es gibt mehr Drogerien als Restaurants – eine entzündungshemmenden Creme zu kaufen. Die Verkäuferin zeigt auf die roten Pickel und meint, das sei eine Allergie(!) und reicht Bea zwei verschiedene Antibiotika-Pillenschachteln(!!) über den Ladentisch. Im Sinne, zwei Medikamente einnehmen nützt doppelt. Mit Pharmazeutika wird im südlichen Amerika höchst freizügig umgegangen, das beobachten wir nicht zum ersten Mal. Rezepte werden selten über den Tisch gereicht. Wie gut das Personal der Farmacias ausgebildet ist? Keine Ahnung. So wenig wie möglich, so viel wie nötig, so ist unsere Reiseapotheke bestückt, die wir bisher zum Glück kaum gebraucht haben. 

Die zwei Tage bis in die Kleinstadt Coban in den Bergen, auf 1350 m ü.M. gelegen,

bleiben als schweisstreibender langer Fussmarsch in Erinnerung, das machen wir nämlich mit unseren schweren Rädern auf der Hälfte der Strecke. In Ecuador waren die Strassen steil, Guatemala schlägt das südamerikanische Land um Längen. Die Höhenkurve auf dem Navi zeigt unmissverständlich nach oben, in der Praxis heisst das, nach jeder Beule wieder steil hinunter und Anlauf nehmen für den nächsten Buckel; nur langsam gewinnen wir an Höhe. Immer wieder lachen wir Witzkisten über unseren Standardspruch: „Die Chinesen würden hier eine Brücke bauen“. Steil – steiler – Guatemala.

Dafür ist die Strecke ein Erlebnis und die Landschaft eine Wucht. Gemüse, Mais, Bananen, Papaya und ganz oben der berühmte Kaffee aus Guatemala. Guatemalteken sind keine Kaffeetrinker, aber selber aufgebrüht ist das Heissgetränk ein Hochgenuss! Nationalgetränk ist ohne Zweifel Coca Cola, das bereits zum Frühstück gehört; 2l kosten ca. Fr. 1.30. Nach einer Zeltnacht in einer schönen Freizeitanlage mit Campingplatz brauchen wir für die letzten 45 Kilometer geschlagene sieben Stunden. Seit zwei Tagen lässt uns der Regen in Ruhe. Tolles Guatemala, das nach dem eher mässigen Belize voll entschädigt. 

Samstag ist Markttag. Manche nehmen einen langen Weg auf sich.
Samstag ist Markttag. Manche nehmen einen langen Weg auf sich.

Je höher wir klettern, je verschlossener, ja mürrischer begegnen uns die Menschen. Vor allem die jungen Leute erwidern kaum einen Gruss, Gesichter wie zehn Tage Regenwetter. Was ist los? Vielleicht sind die Münder heute verschlossen, weil Samstag ist? Nicht das Guatemala, das wir bisher kennen gelernt haben. In Guatemala werden junge Frauen vor allem auf dem Land sehr früh Mutter. Der Älteste versteckt sich im Rock der Mama, das Jüngste trägt sie auf dem Arm, mit dem dritten ist sie schwanger, und das mit gut 20. Kinder kriegen scheint erste Aufgabe der Frauen zu sein. Wir meinen gerade heute aus manchen Gesichtern der jungen Frauen Resignation, ja eine gewisse Verbitterung zu lesen. Was dürfen sie vom Leben erwarten? Uns tun die jungen Mütter leid. Seit 1960 hat die Bevölkerung in Guatemala um 301% von 4,2 auf knapp 17 Mio. zugenommen. Weltweit wuchs die Bevölkerung im gleichen Zeitraum um 148%. (www.laenderdaten.info).

In der Gegend um Coban wird Kaffee angebaut. Es gibt dort auch eine Kardamom-Plantage. Das Gewürz wird in der indischen Küche oft verwendet.
In der Gegend um Coban wird Kaffee angebaut. Es gibt dort auch eine Kardamom-Plantage. Das Gewürz wird in der indischen Küche oft verwendet.

Guatemala

Auf überraschend guter Strasse rollen wir gegen Südwesten durch das grösste Naturschutzgebiet Guatemalas, das Maya Biosphären Reservat. Das Gebiet, gut halb so gross wie die Schweiz, umfasst in der Kernzone vier Regenwald-Nationalpärke, in denen weder Siedlungen noch die Ausbeutung von Bodenschätzen erlaubt sind.

Kaum mehr Verkehr nach der Grenze, endlich wieder Steigungen und Kurven die den ohnehin schon kräftig rinnenden Schweiss so schön in den Augen brennen lassen. Ohne Kohl, wäre die Erde eine Scheibe, wir würden die Velos in eine Ecke stellen und verstauben lassen. 

Pfauentruthun, kommt nur auf Yukatan, in Belize und Nordguatemala vor, gilt als gefährdet.
Pfauentruthun, kommt nur auf Yukatan, in Belize und Nordguatemala vor, gilt als gefährdet.

Dichter Urwald mit mächtigen Bäumen und saftig grüne Wiesen wechseln sich ab – so haben wir uns das vorgestellt! Bea ist ganz aus dem Häuschen als sie den ersten Tukan mit seinem charakteristischen grossen Schnabel vorbei fliegen sieht. Bitte mehr solches Guatemala! Fast hätten wir ihn gestern nicht bemerkt, den 60'000. gefahrenen Velokilometer. Eigentlich kümmern uns solche Marken kaum mehr. Etwas für „Rekordstrampler“ und Statistikfreaks, die gibt es genug.

Berge hat es noch keine, aber wenigstens Hügel. Schönes Guatemala!
Berge hat es noch keine, aber wenigstens Hügel. Schönes Guatemala!

Ein erstes Highlight wird die bekannte, prähistorische Mayastadt Tikal, 30 km nördlich des Lago Petén Itza. Die Ruinen im dichten, Schatten spendenden Dschungel lassen sich gut zu Fuss erkunden, man sollte allerdings ein paar Stunden einplanen und gutes Schuhwerk ist von Vorteil. Bald sind wir allein auf den einsamen Pfaden zu den weit auseinander liegenden Tempeln und Pyramiden unterwegs. Die Tourigruppen verlieren sich im Irgendwo; wir lassen uns treiben, Ruhe unter weitem Blätterdach.

Aus neuen Laserscanning-Vermessungen in der Region lesen Experten heraus, dass die Städte Tikal und El Mirador weitaus grösser waren, als bisher angenommen. Mehr als eine Million Menschen sollen um die Zeit von Christi Geburt hier gelebt haben. Tikal ist imposant und sehr sehenswert.

Tikal
Tikal

El Mirador

Wir freuen uns auf einen besonderen Leckerbissen. Eine geführte Fünf-Tages-Wandertour durch dichten Urwald zur Ausgrabungsstätte El Mirador, nahe der mexikanischen Grenze. Die Mayastadt ist nur zu Fuss über Trampelpfade oder mit dem Hubschrauber (schlappe 450 US$) erreichbar. Mit unserer Sechsergruppe sind sieben Maultiere unterwegs, die die Zelte, unser Gepäck, das Trinkwasser und die Essensvorräte buckeln. Und natürlich darf die Köchin, unsere la patrona, reiten.

El Mirador ist die grösste Maya-Metropole aus der Präklassik. Die Stadt wurde etwa 50 n. Chr. von ihren Bewohnern verlassen; wiederentdeckt wurde sie erst 1926. 2016 entdeckten Forscher ein Landstrassen-System, das El Mirador mit den Orten der Umgebung verband. Die insgesamt 17 Strassen weisen eine Gesamtlänge von 240 Kilometern auf. Die Forscher sprechen vom ersten Landstrassen-Netz der Erde.

Das Pfeifen der Smaragdzikaden hallt ohrenbetäubend durch den Dschungel.
Das Pfeifen der Smaragdzikaden hallt ohrenbetäubend durch den Dschungel.
Nach einer dreistündigen, holperigen Autofahrt marschieren wir in Carmelita los.
Nach einer dreistündigen, holperigen Autofahrt marschieren wir in Carmelita los.
Die Tempel-Pyramide El Tigre, wie sie vermutlich vor 2000 Jahren ausgesehen hat.
Die Tempel-Pyramide El Tigre, wie sie vermutlich vor 2000 Jahren ausgesehen hat.

Um vier Uhr morgens reissen uns Brüllaffen mit ihrem schaurigen, tiefen Uhhhhoohh aus dem Schlaf. Früh am zweiten Tag verlassen wir unser Waldkamp, noch steht die Sonne tief. Immer weiter nordwärts führt der schmale Pfad durch den schattigen Urwald. Wer sieht und hört entdeckt im Dschungel eine vielseitige, faszinierende Tier- und Pflanzenwelt. Neben Tukanen, farbigen Spechten, kreischenden Papageien und weit oben elegant ihre Kreise ziehenden Schwalbenweihen (der Familie der Wespenbussarde angehörende Greifvögel) beobachten wir u.a. farbige Käfer und Smaragdzikaden, grosse schillernde Blaue Morphofalter, kämpferische Skorpione und Taranteln, Agutis und Weissweldelhirsche. Zwischendurch beäugen neugierige Spinnenaffen die Eindringlinge hoch oben aus dem Blätterdach. Ein Rascheln neben dem Weg. Vor Pit flüchtet eine lange braune Schlange unglaublich schnell ins schützende Geäst eines hohen Baumes, als wäre der Teufel hinter ihr her. Lieber so als umgekehrt. Die stundenlangen Fussmärsche sind nie langweilig.

Seit drei Jahren legen 200 Arbeiter in akribischer Handarbeit die überwachsenen Mayaruinen frei. Erst ein kleiner Teil der einst mächtigen Metropole El Mirador - nach Schätzungen lebten bis zu 200'000 Mayas in der Stadt - ist ausgegraben. Ständig sorgen 140 Maultiere für Nachschub, bringen Benzin, Vorräte, Trinkwasser und Geräte vom 42 Kilometer entfernten kleinen Ort Carmelita ins Ausgrabungscamp. 

Nach einem interessanten Tag in El Mirador brechen wir am anderen Morgen früh auf. Zwei Tage Fussmarsch zurück nach Carmelita.
Nach einem interessanten Tag in El Mirador brechen wir am anderen Morgen früh auf. Zwei Tage Fussmarsch zurück nach Carmelita.
Kochen über dem Feuer. Wir essen sehr gut auf unserem Trip. Muchas gracias, patrona!
Kochen über dem Feuer. Wir essen sehr gut auf unserem Trip. Muchas gracias, patrona!
Grabungsleiter Richard Hansen (mitte) arbeitet seit mehr als 40 Jahren in El Mirador.
Grabungsleiter Richard Hansen (mitte) arbeitet seit mehr als 40 Jahren in El Mirador.

Ein grosser Teil der Ruinen liegt noch verborgen unter Schutt und Tropenwald. Erst teilweise freigelegt ist u.a. eine der grössten Pyramiden, die man z.Z. weltweit kennt, die La Danta. Sie ist nur halb so hoch wie die Cheops-Pyramide von Gizeh, aber volumenmässig 200'000 m3 grösser als diese.

Vor beinahe zweitausend Jahren wurde die Stadt verlassen, über die Gründe wird bis heute spekuliert. Es gab zu dieser Zeit grosse Vulkanausbrüche, vielleicht zwangen Trockenperioden und Nahrungsmangel die Bevölkerung zur Abwanderung.

Spannend sind die Ausführungen des Grabungsleiters Richard Hansen aus den USA und seiner guatemaltekischen Kolleginnen, die uns die Geschichte der Stadt anhand der freigelegten Mauerreste und Artefakte vor Ort erklären. Geschichte zum Anfassen, wie sie sich sonst nie bietet. Wer sich für die Maya-Geschichte begeistert, der sollte El Mirador unbedingt besuchen. Aber wie geschrieben, fünf Tage dauert der Tripp und knapp hundert Kilometer auf Schusters Rappen hat man am Ende in den schweren Beinen.

Smaragdzikaden sind wunderschön!
Smaragdzikaden sind wunderschön!
Einmal ohne Fahrrad unterwegs sein. Wir geniessen die grossartige Natur sehr!
Einmal ohne Fahrrad unterwegs sein. Wir geniessen die grossartige Natur sehr!
Es wird rasch Nacht über dem Urwald. Blick von der Pyramide El Tigre.
Es wird rasch Nacht über dem Urwald. Blick von der Pyramide El Tigre.

Müde, schmutzig und stinkend trotten wir zurück in unser kleines, gemütliches Hotel in El Remote am Lago Petén Itza. Erst mal eine lange Dusche, dann die Füsse ausstrecken. Wann kann ein kaltes Bier wohliger durch einen ausgetrockneten Hals rinnen als jetzt?

 

Darum trifft uns der Hammerschlag aus dem Internet umso brutaler: Auf dem Pamir Highway in Tadschikistan sind vier Radfahrer von religiösen Eiferern brutal ermordet worden. Bereits Ende April, zwei Tage vor unserer Ankunft in Mexiko City, fand man im Gliedstaat Chiapas zwei vermisste Radfahrer. Der Deutsche und der Pole wurden barbarisch umgebracht und in eine Schlucht geworfen.

Und wieder sind wir zutiefst verwirrt, traurig, ratlos, wütend, können nicht verstehen. Sechs harmlose Velofahrer, die ihren Reiseländern besonders nah kommen, ihre Kulturen und ihre Menschen kennen lernen und vielleicht ein bisschen verstehen wollten, innerhalb kurzer Zeit ermordet. Wir wissen, dass ein gewisses Risiko immer und überall mitfährt, trotzdem . . . Auf manche Fragen gibt es keine Antworten.

Seit bald sechs Jahren dürfen wir die Welt erfahren, haben überall tolle Gastfreundschaft erlebt, ganz besonders in muslimischen Ländern. Unser Mitgefühl gehört den Angehörigen der Ermordeten.