Erinnerung an fünf tolle Monate in Japan.

Der Regen hat uns (oder wir ihn) auf Honshu zeitweise fest im Griff.
Der Regen hat uns (oder wir ihn) auf Honshu zeitweise fest im Griff.

Weg vom Regen, weiter in den Süden

In Japan Warmshowers zu finden, ist nicht ganz einfach. (Warmshowers: weltweite Organisation von Radfahrern für Radfahrer, die für eine oder mehrere Nächte gratis ein Bett oder mindestens einen Zeltplatz zur Verfügung stellen können. Gäste bedanken sich auf die eine oder andere Art, z.B. in dem sie ein Nachtessen kochen. Interessante Möglichkeit, mit Gleichgesinnten Erfahrungen auszutauschen und Tipps zu bekommen). Es gibt nicht wenige im Land, aber viele können (oder wollen, warum auch immer) keine Gäste beherbergen. Diesmal haben unsere Anfragen gleich zwei tolle Treffer ergeben. Darum pedalen wir von Patrice quer durch Nagoya zu Marcus, bei dem wir drei Nächte bleiben dürfen. Er hat kurz vorher Kanadas Norden mit dem Velo erkundet – es gibt viel zu erzählen. Erst spät in der Nacht kriechen die drei Tourenfahrer in die Federn. Marcus, herzlichen Dank, dass wir deine ersten Gäste sein durften!!

 

Zum zweiten Mal führt unsere Route an den Lake Biwako, dann entlang dem Ostufer vorbei an Kyoto Richtung Osaka. Der Verkehr nimmt stark zu, zudem ist die Gegen dicht besiedelt, was die Suche nach einem ruhigen Zeltplatz zur Suche nach der berühmten Nadel in Heuhaufen macht. Nach zwei Tagen Sonne ist fertig mit lustig; Regentropfen treiben uns nach dem langen Velotag zusätzlich an, endlich einen Platz für das Zelt zu finden. Herrgott nochmal, ist das heute wieder mühsam! Unser Glück, dass die Japaner an Baseball den Narren gefressen haben (für Pit zum Gähnen langweilig), gleich mehrere Spielfelder liegen am Fluss und bieten sich zum Zelten geradezu an. Nach einer ruhigen Nacht ist uns das laute Osaka gleichgültig; wir erwischen abends die Fähre nach Beppu auf Kiushu, der südlichsten Hauptinsel Japans, und sind froh, dem mühsamen Regenfahren auf Honshu endlich zu entkommen (wie wir hoffen). Die 450 Kilometer legt das grosse Schiff mit seinen vielen Lastwagen, Autos und zwei bepackten Velos im Bauch in gut zwölf Nachtstunden zurück. Wir lieben das langsame Reisen mit Schiffen fast so sehr wie das Velofahren. Wenn es möglich wäre, wir würden das umständliche Fliegen mit den Velos und dem vielen Gepäck nie auf uns nehmen. Das Vorwärtskommen geht uns einfach zu schnell; wir haben immer wieder Mühe, mit dem Kopf in einem neuen Land anzukommen.

Das ferne Brummen der grossen Diesel lässt uns in den Kojen bald einschlummern.

Kiushu

Die zweitkleinste Hauptinsel Japans, zu der auch das weit im Süden liegende Eiland Okinawa gehört, ist sehr gebirgig und mit dem Aso befindet sich der aktivste Vulkan Japans auf der Insel. Palmen, blühender Oleander, Magnolien und strahlender Sonnenschein begrüssen uns in Beppu – so stellen wir uns entspanntes Velofahren vor! Die wenig befahrene, kurvenreiche, schmale Küstenstrasse nach Kitakyūshū im Norden, drängt sich wann immer möglich nah ans Meer. Nach langen Abschnitten mit steilen Klippen liegen unvermittelt wunderschöne Sändstrände vor uns. Wir fahren am Fuss des Vulkans Futago auf verschlungenen Waldpfaden auf einem einsamen Radweg, niemand sonst ist unterwegs.

Wieder mal ist Trocknen angesagt.
Wieder mal ist Trocknen angesagt.

Der Zeltplatz am zweiten Abend hat schon bessere Zeiten erlebt, ist jetzt im September sowieso geschlossen, wenigstens gibt’s Wasser. Bea stolpert beim Suchen nach einer Toilette über eine grosse Schlange, die, wie sie annimmt, sowieso tot sein muss. Denkste, das einen Meter lange Reptil ist offenbar mindestens so erschrocken wie sie, für einen Moment erstarrt, bevor es über eine Mauer klettert und verschwindet. Buuhhh . . .

Am frühen Abend gesellen sich zwei japanische Motorradfahrer auf ihren grossen BMW’s zu uns. Mit wenig Englisch dafür mit Händen und Füssen und vor allem „Härdöpfeler“ (hochprozentiger Kartoffelschnaps) aus dem 1,5 l-Tetrapack wird es ein gemütlicher, lustiger Abend bei Feuerschein.

Wir geniessen die Woche bis Fukuoka mit kurzweiligen, nicht allzu langen Touren bei Superwetter. Hier, in der grossen Hafenstadt, setzten wir den Schlusspunkt hinter unsere knapp fünf Monate dauernde Japanreise.    

War ein lustiger Abend mit den beiden Motorradfahrern.
War ein lustiger Abend mit den beiden Motorradfahrern.

5336 Kilometer auf dem Velo, 57'000 schweisstreibende Höhenmeter, tolle Begegnungen mit liebenswürdigen, höflichen, hilfsbereiten Menschen und viele, viele Eindrücke haben Spuren hinterlassen. Zeit für eine kurze Bilanz.

Japan ist ein tolles Land. Wer wasserfest ist und Berge fahren nicht nur mag sondern liebt, dem viel Verkehr nichts anhaben kann und Sprachprobleme kein Hinderungsgrund sind, dem können wir Japan mit dem Rad sehr empfehlen. Nach Monaten mit eher eintönigem Speisezettel ist uns das Land mit seinen grossen Supermärkten und fangfrischem Fisch fast wie das Paradies vorgekommen. Lebensmittel sind für Schweizer Verhältnisse, ausgenommen Früchte, günstig. Wasser kann überall im Land vom Hahnen getrunken werden. Teuer sind Hotels, gemessen am Komfort und den meist sehr kleinen Zimmern. Japan ist ein ausgesprochen sicheres Reiseland, nie gab es für uns Schwierigkeiten. Das Smartphone zum Laden im Eingangsbereich eines Supermarktes einstecken? Kein Problem, niemand hätte sich je an unseren Sachen während des Einkaufens zu schaffen gemacht.

Japan ist für uns nur bedingt ein Veloland. Die z.T. sehr miesen Radwege und der Umstand, dass das Velo weder im Zug noch im Bus unverpackt mitgenommen wird und das Parkieren in Innenstädten echt nervig sein kann (Veloabstellplätze sind chronisch überfüllt, irgendwo hinstellen geht nicht, sofort ist ein Aufpasser zur Stelle), sind Minuspunkte.

Nach Monaten haben wir mehr und mehr auch das schwarz-weisse Japan kennen gelernt. Alles was von klaren Strukturen und Vorgaben abweicht, ist ein Problem. Japaner sind sehr hilfsbereit, solange keine Entscheidung verlangt wird. Da können sie sehr unflexibel, ja absolut stur sein. Dann lieber die Arme vor der Brust verschränken, was heisst: geht nicht, verboten, nicht erlaubt. Wir haben bei der Zeltplatzsuche kaum mehr um Erlaubnis gefragt, das Zelt aufstellen zu dürfen.

Selbst wenn wir die einzigen Gäste auf einem Campingplatz waren, durften wir nur am Platz, der für Zelte vorgesehen ist, unser Wigwam aufstellen. Versuche nie, bei einem Restaurantbesuch anstelle Reis Nudel zu bekommen. Völlig unmöglich. Auf die Frage, ob es in der Nähe einen Supermarkt gibt, wird dir ein Japaner möglicherweise mit nein antworten. Dass es kleine Läden für Lebensmittel in der Nähe gibt, wirst du nicht erfahren. Du hast ja nach einem Supermarkt gefragt. Beispiele für das schwarz-weisse Japan gibt es viele. Nach Monaten fängt diverses an zu nerven, wie z.B. die täglichen Sprachschwierigkeiten oder Geldautomaten zu finden, die ausländische Kreditkarten akzeptieren (ging für uns nur bei 7Eleven ohne Chnörze). Um Free WiFi in Japan zu verstehen und nutzen zu können, muss man fast eine Doktorarbeit auf japanisch schreiben. Japaner haben eine spezielle Vorliebe für komplizierte Sachverhalte.

Wohl verstanden, Japan ist nicht irgendein Land. Japan (129 Mio. Einwohner) ist die weltweit viertgrösste Exportnation und zählt zu den G7, die sich erdreisten zu bestimmen, wie sich unsere Welt zu drehen hat! Japan ist ein abgeschottetes Land in dem nur 1 Prozent Ausländer leben. Man ist am liebsten unter sich. Die Mentalitätsunterschiede sind für uns nach fünf Monaten weit grösser geworden, als wir das zu Anfang der Tour vermutet haben.

Für uns heisst es auf Wiedersehen Fukuoka!
Für uns heisst es auf Wiedersehen Fukuoka!
Auf der Fähre nach Busan, Republik Korea.
Auf der Fähre nach Busan, Republik Korea.
Nach Nagano gehts wieder in die Berge.
Nach Nagano gehts wieder in die Berge.

Wäre . . .

Wenn das Wetter schön gewesen wäre, hätten wir die japanischen Alpen sehen und die Landschaft geniessen können, hätten im Zelt übernachtet und Geld gespart. Das elende Hudelwetter hat uns einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht.

Ja, wenn das Wörtchen wenn nicht wäre, wäre das Leben halb so schwer. Zum Glück hat alles zwei Seiten. In unserem Fall hätten wir nicht ein traditionelles japanisches Onsen angesteuert und unvergessliche Stunden erlebt, wenn uns der Regen vergessen hätte.

Der siebzehnte Taifun, Iida, hat uns nicht behelligt, aber eine Unmenge Regen über Honshu gebracht und Zelten unmöglich gemacht. In kurzer Zeit sind wir tropfnass, innen fliesst der Schweiss, aussen der Regen; die steile Strasse scheint irgendwo zwischen den tiefhängenden Wolken Richtung Himmel zu verschwinden. Heute rollt es mühsam, die gefahrenen Kilometerzahlen kriechen schleppend über die Skala am Velo. Nach gut 25 Kilometern steuern wir das einzige Hotel (ein Ryokan, also ein typisch japanisches Hotel) an, das sich auf Google finden lässt. Zuerst will man uns kein Zimmer geben, no rooms. Wir sind nass und ziemlich auf den Felgen – so schnell lassen wir uns nicht abwimmeln. Als wir fragen, wo wir das Zelt aufschlagen können (manchmal hilft etwas Provozieren weiter), schaltet sich der Chef ein. Wir bekommen ein Zimmer inklusive Nachtessen, Morgenessen und Onsen zum Pauschalpreis, den er später noch abrundet. Super, wir dürfen eine Stunde früher einziehen und verdrücken uns umgehend in das heisse Bad. Selten waren 42 Grad so wohltuend wie heute. Das ganze Onsen gehört zwei Schweizer Langnasen.

Das stilvoll japanisch eingerichtete Zimmer – Reisstrohmatten am Boden, Papier bespannte Fenster, schöne Holzdecke, ein Nemaki und Veston für den Herrn - bietet genügend Platz zum Relaxen. Ein Erlebnis ist das Nachtessen am grossen Holzkohle-Tischgrill. Suppe, gegrillter Fisch, Reis, Kartoffeln, Oberschienen, Pilze, eingelegtes Gemüse und anderes, das wir nicht kennen, serviert von zwei Damen in Kimonos. Wir werden umsorgt und gefüttert, fühlen uns wie Könige.

Als wir ins Zimmer zurückkommen, wartet das frisch gemachte, kuschelige Futon-Bett bereits; werden wir mit einem Gute-Nacht-Kuss auch noch zugedeckt? Wir schlafen herrlich, während draussen der Regen ohne Unterbruch auf das breite Dach trommelt.

Kurz vor Nagoya haben wir 33'000 Velokilometer in den Beinen, 4'800 davon in Japan.
Kurz vor Nagoya haben wir 33'000 Velokilometer in den Beinen, 4'800 davon in Japan.

Nördlich von Tokyo, in der Provinz Fukushima, haben heftige Regenfälle einen Flussdamm brechen lassen und riesige Überschwemmungen verursacht. Ganze Häuser wurden weggeschwemmt, Tausende mussten evakuiert werden, Dutzende sind noch vermisst, einige ertrunken. Mit grosser, für Japaner typischer Disziplin, wird versorgt, betreut und aufgeräumt. Wir waren zum Glück nicht in dieser Provinz mit dem Velo unterwegs.

 

Wir geniessen bei Warmshowers Patrice in Nagoya zwei Nächte und einen Ruhetag. Einfach schön, wieder mal quatschen und gut bekocht zu werden. Herzlichen Dank, Patrice, dass du uns so herzlich aufgenommen hast! We wish you all the best!

Reisfelder bilden einen dichten Teppich in den verschiedensten Grüntönen, je nach Reifegrad der Reispflanzen.
Reisfelder bilden einen dichten Teppich in den verschiedensten Grüntönen, je nach Reifegrad der Reispflanzen.
Mit kleinen Mähdreschern wird der Reis geerntet.
Mit kleinen Mähdreschern wird der Reis geerntet.

Nagano

Unsere Route führt fast den ganzen Tag dem Shinano River entlang, meist auf der gut ausgebauten Dammstrasse, gänzlich ohne Verkehr. Eigentlich der ideale Radweg, wenn das Strässchen nicht immer wieder auf der ganzen Breite mit Ketten abgesperrt wäre, als wollten uns die lieben Japaner mit aller Gewalt auf die Strasse zwingen. Aber eben, wir sind so ziemlich die einzigen auf dem Velo.

Auch heute haben wir Glück, finden ein ruhiges, verdecktes Plätzchen zum Campen in der Nähe eines Stauwehrs. Bereits ab sechs Uhr abends setzt hier im Sommer die Dämmerung ein, eine Stunde später ist finstere Nacht. Ein Grund, mit dem Abendessen vorwärts zu machen. Meist liegen wir um acht schon flach und spätestens nach zehn Seiten lesen fallen die Augen zu. Sind eben nicht mehr zwanzig . . . Im Ernst, der Körper passt sich dem natürlichen Tagesrhythmus überraschend schnell an. Morgens wird es nach vier Uhr schnell hell und Aufstehen ab fünf wäre kein Problem (wenigstens für Pit).

Wunderschön der Sternenhimmel heute. Eine jener raren Nächte, in denen man lange draussen sitzen, sich bei einem Glas Wein die warme Brise um die Nase wehen lassen kann und sich einfach freut, unterwegs zu sein und solche, einmalige, unbezahlbare Momente erleben zu dürfen.

Nach und nach kreisen uns die Berge ein, in sanften Steigungen gewinnen wir an Höhe, kommen dem grau-schwarzen Himmel näher, ziehen unbewusst die Köpfe ein und treten kräftiger in die Pedale. Der Regen hat uns wieder. Da kommt die Brücke vor uns gerade recht. Mit dem Rauschen der Brückenentwässerung schlafen wir ein. Es pisst die ganze Nacht; am Morgen stehen die Velos im Wasser und wir gerade noch im Trockenen. Nach dem Morgenessen und dem Zusammenpacken lesen wir noch eine Stunde, schwingen uns erst in die Sättel als der Regen eine Verschnaufpause macht. Das Scheisswetter hat uns wirklich am Wickel!!

Da das Wetter die ganze Woche mies bleiben soll (was zum Glück dann nicht wirklich der Fall ist), geben wir klein bei und suchen uns ein Hotel. In Yamazaki findet sich kein Hotel, dafür bietet uns eine japanische Familie an, bei ihnen eine Nacht zu verbringen – wenn wir wollen. Wollen?! Keine Frage, noch so gerne! Mel, eine gebürtige Philippinin, lässt es sich nicht nehmen, uns aufs Tollste zu bekochen. Herrlich, einfach an den Tisch sitzen zu dürfen. Abends gibt es ein grosses Feuerwerk, das wir von Logenplätzen auf der Dachterrasse aus geniessen (wir bilden uns ein, nur für uns). Herzlichen Dank, Mel mit Familie, dass wir eure Gäste sein durften!

Mit Nagano erreichen wir am letzten Tag im August wieder eine Olympiastadt. 1998 haben die Schweizer hier deutlich härteres Brot gegessen, als damals in Sapporo. Ein gewisser Didier Cuche wurde u.a. zweiter im Super G. Tempi passati . . .

Wir finden immer wieder idyllische, ruhige Zeltplätze. Die offizielle Campingsaison ist in Japan gegen Ende August zu Ende.
Wir finden immer wieder idyllische, ruhige Zeltplätze. Die offizielle Campingsaison ist in Japan gegen Ende August zu Ende.
Unverhofft werden wir auf der Strasse mit Instant-Nudelsuppe beschenkt. Sie freut sich, dass wir ihr Land bereisen.
Unverhofft werden wir auf der Strasse mit Instant-Nudelsuppe beschenkt. Sie freut sich, dass wir ihr Land bereisen.

Entlang der Küste nach Niigata

Bis Niigata, gut 500 Kilometer südlich, am Chinesischen Meer gelegen, fahren wir dem Wasser entlang. Ein Motorradfahrer auf Hokkaido hat uns die Küstenstrasse mit ihren schönen Teilstrecken, lauschigen Zeltplätzen und heissen Quellen (Onsen) schmackhaft gemacht.

Bis auf einige Abschnitte mit viel Verkehr, selbstredend in der Nähe von Städten, ist die Route wirklich ein Genuss und abgesehen von kurzen ruppigen Steigungen mässig anstrengend. Wie es Küsten und Meere so an sich haben, gibt es dort immer Wind und der bläst, wie alle Radfahrer wissen, meist aus der falschen Richtung. Und weil Wind ohne Regen nur halb so viel Spass macht, haben wir unterwegs einige Eimer Wasser (unfreiwillig) mitgenommen. Gleich zwei gewaltige Taifune sind in der letzten Woche Richtung Japan und Taiwan gestürmt, sich um das Territorium über dem Pazifik streitend. Vermutlich hat uns ein Ausläufer der Wirbelstürme kurzzeitig starken Regen und böigen Wind gebracht. Zum Glück sind die Temperaturen immer noch hoch, lassen Zelt und Kleider schnell trocknen und uns nicht frieren.

Der erste kleine Zeltplatz am Meer bei Hiroto liegt idyllisch auf einer Landzunge, geschützt in einer kleinen Bucht. Allerdings trennt uns eine lange Treppe von der schönen Wiese am Meer. Ihr müsst alles runter tragen, gibt uns der Campbetreiber lachend mit Gesten zu verstehen. Hä? Nein, bestimmt nicht! Und wirklich, nach kurzer Suche findet sich eine zweite Treppe mit seitlichem Plattenbelag. Wir lassen die Räder rollen und freuen uns auf sein Gesicht, wenn wir ihm zurufen „If you want money, you have to come down!“. Nein, für so dämlich lassen wir uns nicht verkaufen. Vielleicht hat er ein schlechtes Gewissen oder ist schlicht zu faul zum Einkassieren. Auf jeden Fall hören und sehen wir nichts mehr von ihm. So baufällig und verdreckt wie die sanitären Anlagen sind, rechtfertigt sich eine Platzmiete sowieso nicht. Wir geniessen ein feines Nachtessen – heute gibt’s Rindsmedaillons an frischer Pilzsauce, Kartoffelstampf, Krautsalat und einen vollmundigen Roten aus Spanien – und freuen uns auf eine ruhige Nacht mit Meerrauschen. Das Rauschen wird nach Mitternacht dann zum Tosen, die leichte Brise vom Abend zum heftig am Zelt zerrenden Wind, der uns aus dem Schlaf reisst. Wenig später giesst es wie aus Kübeln, so geht das bis morgens um acht. Bevor der Sturm neuen Anlauf nimmt, schleppen wir unser Hab und Gut unter das nahe Dach, bereiten das Frühstück und eine gute Stunde später geht’s weiter Richtung Süden. Extrem starker, böiger Wind, Regen, lärmiger Verkehr; der Mix ist an diesem Dienstag nicht nach unserem Geschmack. Ausgerechnet heute findet sich nicht ein einziger 7Eleven oder Lawson für den obligaten Kaffeehalt auf unserer Route.Was soll’s, immer vorneweg nehmen, gerade so, wie es kommt. Wir sind doch keine Warmduscher! :-) Das Relaxen am Abend im Onsen ist dann absolute Extraklasse. Was ist dagegen schon ein feucht-nasses Zelt?

Sakata liegt am Rande einer fruchtbaren Ebene die sich von den Bergen bis ans Meer erstreckt. Reisfelder machen beinahe die gesamte landwirtschaftlich genutzte Fläche aus, die nur da und dort von langen Gewächshäusern unterbrochen wird. Langsam verfärben sich die im Wind wiegenden schweren Rispen gelb. Die Reisernte wird wohl bald beginnen.

Wir wundern uns einmal mehr, wie selbst entlang wenig befahrener Nebenstrassen breite Radwege gebaut werden. Hier auf dem Land fährt sowieso kaum jemand Rad, einzig im dicht besiedelten Raum sind vor allem Schüler auf dem Japan normalo, dem einfachen Damenfahrrad mit Einkaufskorb vorne, unterwegs. Mountainbikes sieht man selten. An Wochenenden begegnen uns ab und zu Verbissene auf ihren Rennrädern, ansonsten ist Velofahren in Japan kein grosses Thema, wie wir erleben. Mit dem Rad zur Arbeit fahren oder gar am Sonntag bei schönem Wetter zum Vergnügen über Land pedalen, wie das Tausende in Deutschland und der Schweiz tun, nein, das macht den Japanern keinen Spass. Autofahren schlägt das Velofahren um Längen.

Um Radwege machen wir immer wieder einen Bogen, nicht weil wir lieber auf der Strasse fahren, sondern weil sie oft in einem wirklich miserablen Zustand sind und beim Befahren Ärger hochkommt. Ein altbekanntes Muster: Es wird gebaut und viel Geld investiert, der Unterhalt aber wird klein geredet oder schlicht vergessen. Vor allem dort wo der Staat Geld mit vollen Händen ausgibt, der Bürger aber zu den Ausgaben nichts zu sagen hat, ist Ignoranz (oder Dummheit) nicht weit. Weniger wäre in vielen Fällen mehr, auch in Japan.    

Früchte für die Schweizer Velofahrer zum Dessert - herzlichen Dank!
Früchte für die Schweizer Velofahrer zum Dessert - herzlichen Dank!

Der Himmel wird dunkler, der Wind nimmt zu und verkündet nichts Gutes. Nach raschem Einkauf in einem Supermarkt hetzten wir eine steile Strasse hoch, dem nahen Zeltplatz zu. Die ersten Tropfen fallen. Der Campground ist buchstäblich ein Reinfall. Abseits, wenig einladend, düster, mitten im Wald gelegen. Wieder so eine perfekte Moskitofalle an einem dämlichen Standort. Rückzug. Ohne lange Diskussion treten wir in die Pedale, preschen dem Fluss zu, den wir zwei Kilometer vorher überquert haben. In den Flussauen wird sich auf jeden Fall ein Plätzchen für unser Zelt finden. Es regnet in Strömen. Aber warum nicht direkt unter der breiten Strassenbrücke das Zelt aufschlagen? Der Platz ist trocken, sauber und ideal zum Campen. Wieder mal hat der Bauch richtig entschieden. Die Nacht wird extrem nass. Das leise Murmeln des nahen Flusses wird zum lauten Rauschen, so dass sich Pit um drei Uhr morgens aus dem Schlafsack bemüht um nachzusehen, was da genau abgeht. Dreckig braun und einen halben Meter höher als am Abend schiesst das Wasser dem Meer zu. Wir liegen sicher im Trockenen und müssen uns keine Gedanken machen. So weit ist es mit uns also schon gekommen: wir schlafen unter Brücken wie Penner :-)

 

Nach zwei Pausentagen in Niigata verlassen wir die Küste und pedalen Richtung Nagano, einem bekannten Wintersportort in den japanischen Alpen.

Saetou ist mit seinem Moped unterwegs. Er überlässt uns seine Strassenkarte und lädt uns ein, ihn in Nagoya zu besuchen. Werden wir gerne machen! See you soon!
Saetou ist mit seinem Moped unterwegs. Er überlässt uns seine Strassenkarte und lädt uns ein, ihn in Nagoya zu besuchen. Werden wir gerne machen! See you soon!
In Sapporo kann man sich mit einem PS durch die Stadt fahren lassen.
In Sapporo kann man sich mit einem PS durch die Stadt fahren lassen.

Sapporo und komische Käuze

Mit dem Wintersportort im Norden Japans verbindet vor allem uns Schweizer eine Erfolgsgeschichte, die dem nationalen Skiverband damals auf einen Schlag 30'000 Neumitglieder beschert hat. Mit den Olympischen Winterspielen 1972 ist das kleine Alpenland im Herzen Europas von heute auf morgen 120 Millionen Japanern ins Bewusstsein gerückt und dem Baumeister des Triumpfs, Dölf Ogi, hat es den Weg in den National- und Bundesrat geebnet. Russi, Nadig, Collombin & Co. sind unserer Generation immer noch ein Begriff. Längst vergangene Zeiten . . .

Sapporo im Sommer mit dem Velo zu durchqueren (das muss einfach sein!) ist eine unspektakuläre Leistung, zumindest aber schweisstreibend. Die Temperaturen klettern tagsüber auf 30 Grad und mehr, was für Hokkaido ungewöhnlich hoch ist. Dazu kommt die hohe Luftfeuchtigkeit, die unserer Ausrüstung zusetzt, d.h. überall lauert die Gefahr von hässlichem Schimmel wenn nicht dauernd getrocknet und gelüftet wird.

Auf unserer Route ans chinesische Meer braust uns viel Verkehr um die Ohren. Beim Zelten ist improvisieren gefragt. Der erste Campground existiert nicht mehr, beim zweiten am Meer ist wegen des Wochenendes alles überstellt, so dass wir schliesslich auf einem Parkplatz ein Parkfeld mieten und unser Tipi aufstellen.

Etwas abseits in Kuchan am Fusse des Vulkans Yotei, 1900 m, versteckt sich ein kleiner Zeltplatz in einem winzigen Tal. Natürlich sind wir die einzigen Langnasen neben diversen Motorradfahrern und drei Gruppen anderer Radfahrer. Während sich die Töfffahrer austauschen und schon mal die winzigen Zelte zusammenrücken, würdigen sich die Velofahrer – inzwischen sind wir 11 – kaum eines Blickes. Angst, Englisch sprechen zu müssen? Aber warum sind sich die einheimischen Radler offenbar gegenseitig nicht Grün? Irgendwo haben wir gelesen, dass Japaner gerne zusammen sind, gerne Gesellschaft beim Essen haben. War wohl eine Ente. . . Am anderen Morgen grüsst Pit sechs junge Japaner, die ihre Nudeln schlürfen mit einem fröhlichen, lauten „Good morning, gays!“, was sie mit grossen Augen zusammenfahren lässt, als hätten sie sich kollektiv verschluckt. Manchmal sind Velöler schon komische Käuze!

In diesen Tagen begegnen uns diverse Gruppen auf dem Velo, selten aber liegt mehr als ein knappes Nicken drin. Ferienfahrer.

Frühstück nach einer Regennacht. Schmeckt doppelt!
Frühstück nach einer Regennacht. Schmeckt doppelt!

Umso mehr freuen wir uns als Tatsuya, ein junger Japaner mit seinem Klapprad samt Gepäck, neben uns hält. Er ist in entgegengesetzter Richtung unterwegs und gibt und wertvolle Tipps für die nächsten Tage. Minuten später gesellen sich Katherine und Dan aus Kanada zu uns, die mit ihren Velos drei Wochen Hokkaido erkunden. Super, endlich mal wieder jemand zum Quatschen! Wir suchen zusammen den nächsten Zeltplatz auf, entspannen im nahen Onsen im 40 Grad heissen Wasser und lassen später bei den Zelten einige Büchsen Bier durch die durstigen Kehlen rinnen. Die Spaghetti werden erst nach 21 Uhr mit Heisshunger verschlungen. Velofahren ist schön!

Die letzten 120 km bis in die Hafenstadt Hakodate, der letzten Station auf Hokkaido für uns, gestalten sich abwechslungsreich. Einzige Konstante ist der dichte Verkehr, beim Treten auf dem breiten Seitenstreifen aber kein Problem. Ohne lange zu überlegen buchen wir in Hakodate die nächste Fähre und sind vier Stunden später in Aomori, zurück auf Honshu. (Achtung, unbedingt bei „Seikan Ferry“ buchen. Ist günstiger und nimmt Fahrräder sicher mit. Es gibt zwei Fährgesellschaften an verschiedenen Piers).

Nach drei Wochen im Zelt laden wir uns selber in ein Hotel ein. Waschen, Mails beantworten, HP nachführen, ausschlafen – das übliche Programm eben. In zwei Tagen geht’s weiter in den Süden, Richtung Nagano, in die Schweiz Japans. 

Touring Mapple (nur in japanisch in grösseren Buchhandlungen erhältlich)

Für Velo- und Motorradfahrer ein absolutes Muss! 2'000 Yen.

App Store: Mapple on, Co., Ltd.

Viele Detailkarten 1:140’000, Vorschläge für sehr schöne Routen, Stadtpläne, Campgrounds, Infostellen, Einkaufsmöglichkeiten, Onsen, Roadhouses (günstige, einfache Übernachtungsmöglichkeiten für Zweiradfahrer) und vieles mehr.

 

Touring Mapple (only in japanese, in big bookshops available)

For cyclistes and bikers a must!

2'000 Yen.

App Store: Mapple on, Co., Ltd.

A lot of detail cards 1:140’000, nice trips and roads, citymaps, campgrounds, informations points, food shops, onsen, roadhouses (cheap places to stay) and more informations.

Unsere Zeltnachbarn freuen sich, die verrückten Schweizer mit ihren Velos kennen zu lernen.
Unsere Zeltnachbarn freuen sich, die verrückten Schweizer mit ihren Velos kennen zu lernen.
In der Nähe von Furano besuchen wir ein Blumenparadies.
In der Nähe von Furano besuchen wir ein Blumenparadies.

Bepitha im Bärenland

Obihiro, wo wir einen Tag Pause einlegen, liegt mitten in einem breiten, sehr fruchtbaren Tal im südlichen Teil der Insel, das sich vom grössten Naturreservat Japans, dem Daisetzsuzan-Nationalpark, bis zum Pazifik erstreckt. Die schwarzbraue Erde erinnert an das Grosse Moos im Berner Seeland. Auch hier auf Hokkaido wird neben Weizen, Sojabohnen, Mais und Zuckerrüben vor allem Gemüse in grossen Gewächshäusern kultiviert. Die rechtwinklig angelegten Strassen und Strässchen eignen sich prima zum Velofahren, kaum ein Auto begegnet uns. Dafür lässt der warme Wind aus den Bergen kaum eine Gelegenheit aus, mal von der Seite und dann wieder frontal zuzupacken – bei Temperaturen um die dreissig Grad fliessen Bäche über Rücken und Bauch.

Der offizielle Zeltplatz am Lake Nukabira ist eine Enttäuschung. Ist er überhaupt noch in Betrieb? Wir sind nicht die einzigen Gäste im lichten Wäldchen, tausende andere surren, brummen, fliegen uns um und in die Ohren, stechen zu, es ist eine wahre Freude! Dämlich, in einem Wald nahe an sumpfigem Gebiet einen Campingplatz zu unterhalten. Dümmer noch, dass wir (wieder mal) darauf herein gefallen sind, nur weil wir uns an die Vorschrift halten, dass in Nationalparks wild campieren verboten ist. Früh brechen wir anderntags auf, gespannt was uns der grosse Park zu bieten hat. Die gut ausgebaute Strasse führt in weiten Kurven moderat ansteigend bis zum Mittag nur durch Wald auf 1150 m ü.M., was über Stunden langweilig wird. Das Wetter weiss nicht so recht was es uns bieten soll. Hitze, Regen, Nebel, Wolken – eben das ganze Programm – wechseln sich ab und irgendwie beschleicht uns das Gefühl, dass die Idee den Park zu fahren vielleicht doch nicht so gut war. Tiere sehen wir keine, ausser ein paar grossen Bremsen die uns aus dem Nichts attackieren. 

Der Regen lässt uns nicht im Stich.
Der Regen lässt uns nicht im Stich.

Das Pedalen wird nachmittags dann wider erwarten zum Vergnügen, nicht nur der Abfahrt wegen. Sich hinterher jagende Streifenhörnchen, spielende junge Füchse auf der Stasse, weidende Hirsche in den Flussauen und als krönender Abschluss ein kapitaler Schwarzbär neben der Strasse, der sich weder von Autos noch Bussen stören lässt aber sehr wohl von zwei Velofahrern. Mit ein paar grossen Sätzen ist er im Gebüsch verschwunden, beäugt uns aus sicherer Entfernung, was auch uns recht ist. Den Daisetzsuzan-Nationalpark zu fahren war also doch eine gute Idee.

Sounkyo ist der erste Ort nach 67 Kilometern treten; hier, am Rande des Parks, wollen wir eine Nacht bleiben. Auf Google Earth ist ein kleiner Zeltplatz eingetragen, aber wieder im Wald. Nein, liebe Japaner, diesmal fallen wir nicht darauf herein! Mitten im kleinen Dorf finden wir einen kleinen Picknickpark mit Tischen und Bänken, für uns ein idealer Platz zum Zelten. Unser Tipi steht, wir freuen uns auf das heisse Entspannungsbad im Onsen und sind schon fast weg, als ein Auto vorfährt und uns der Fahrer nachrennt, sich wiederholt tief verbeugt, entschuldigt und mit Gesten sehr freundlich zu verstehen gibt, dass Zelten hier und heute keine gute Idee, ja eigentlich verboten ist. Mist, warum müssen wir zusammenräumen? Ausgerechnet heute, an einem Donnerstag, soll hier am Abend ein Feuerwerk in den Himmel steigen(!) und der Chef hat Angst, dass unser Zelt Löcher von glühenden Raketenteilen abbekommt. So schnell geben wir uns nicht geschlagen. Mit dem eingetroffenen Dolmetscher vereinbaren wir dann, dass wir das Zelt abbauen, mit dem Gepäck etwas abseits deponieren und erst nach dem heissen Spektakel wieder aufbauen. Für eine Nacht dürfen wir bleiben. Super!! Alle sind zufrieden, vor allem der Chef Feuerwerk dankt uns nach dem (fünf Minuten!) grossen Getöse mit Handschlag, dass wir so kooperativ waren und verabschiedet sich mit Verbeugungen und mehreren „sorry“ nach Hause. So lernen wir Japan immer wieder kennen und schätzen.

In der Nacht zum Schweizer Nationalfeiertag erleben wir eine ganz andere Art von Feuerwerk. Asahikawa begrüsst seine Zeltplatzgäste mit einem tollen Campingplatz, und der ist erst noch gratis. In der Nacht dann haut uns der pechschwarze Himmel Blitze und Donnergrollen nur so um die Ohren. Und dann öffnen sich die Schleusen.

Schön am Trockenen zuhören wie der Regen auf das Zelt prasselt, kann echt gemütlich sein. Heute Nacht ist aber Sintflut angesagt. Kübelweise wird Wasser ausgegossen bis der Boden nicht mehr schlucken kann und sich die Wiese nach und nach in einen See verwandelt. Wenigstens liegen wir auf unseren Luftmatratzen im Trockenen. Zum Glück ist der Spuk am Morgen überstanden, ja es zeigt sich sogar die Sonne. Einigermassen kriegen wir unsere Sachen trocken, sogar das Zelt. Bea hat die Sindflut schlichtweg verpennt.

Ein besonders schöner Abschnitt zum Velofahren erwartet uns zwischen Biai und Furano. Wüssten wir es nicht besser, wir wähnten uns im Emmetal. Sanfte Hügel, Tannenwald,
Weizen- , Mais- und Zuckerrübenfelder. Das Pedalen auf den kleinen Strassen ist ein Vergnügen, das vor allem einheimische Touristen anzieht.

35 km ausserhalb von Sapporo scheint uns ein Zeltplatz genau richtig, um zwei Tage Pause
zu geniessen (Velos überholen, Wäsche waschen, einkaufen, Homepage nachführen und,
und . . .).

Morgen geht es weiter. Erst nochmals in die Berge an dann an die Küste, wo wir in ein paar Tagen die Fähre von Hakodate nach Aomori auf Hondschu nehmen.

Taifun "Nangak" zieht auf Japan zu, zwingt uns zu einer Pause.
Taifun "Nangak" zieht auf Japan zu, zwingt uns zu einer Pause.
Tokyo hat viele faszinierende Gesichter.
Tokyo hat viele faszinierende Gesichter.

Mit „Nangak“ ist nicht zu spassen

Zum Glück dürfen wir bei Yumikos Eltern in Fuchu zwei Nächte länger bleiben. Super-Taifun „Nangak“, der erste in der Wirbelsturm-Saison Japans, ist sehr früh unterwegs, kriecht mit 20 km/h vorwärts, dafür richtet er mit seinen heftigen Sturmwinden (mit Spitzengeschwindigkeiten von 250 km/h über dem Pazifik) viel Schaden an. Tote, Verletzte, Überschwemmungen – kaum zu glauben, wie viel Wasser in kurzer Zeit vom Himmel fallen kann - und 5 Meter hohe Wellen an der Pazifikküste. Erstmals erleben wir ein Phänomen, das wir bisher nicht kannten. Herzlichen Dank liebe Familie Morita, dass wir bei euch zu Gast sein durften! Merci Yumiko, für deine tatkräftige Hilfe beim Buchen der Fähre und toi, toi, toi für die weitere Karriere. 

 

 

Tokyo

Velo fahren und Pissewetter hin oder her, zwei Tage in der Weltstadt Tokyo (10 Millionen Einwohner) lassen wir uns nicht nehmen. Die Metropolregion Tokyo-Yokohama, in der mehr als 37 Millionen Menschen leben, macht die Region zum grössten Ballungsraum der Welt. Solche Superlativen sind nicht unbedingt das, was Radreisende suchen. In diesem Fall hat uns die riesige Weltstadt schlichtweg überwältigt! Die vielen Grünanlagen und prächtigen Alleen lassen beinahe vergessen, dass wir uns in einer der grössten Städte der Welt aufhalten. Besonderen Eindruck machen auf uns die Hochhäuser im mondänen Stadtteil Shinjuku. Raffinierte Architektur in Stahl, Glas und Granit, die da in den Himmel wächst und nachts, beim Blick aus dem 59. Stockwerk, das Lichtermeer bis zum Horizont glitzern und leuchten lässt. Kein Märchen ist übrigens, dass die Züge in Japan fast auf die Sekunde genau abfahren, selbst bei Stosszeiten. Mit den Vorortszügen unterwegs, können wir uns selber davon überzeugen. Und typisch japanisch die für uns Europäer schier unglaubliche Disziplin der Zugreisenden. Auf Schritt und Tritt wird der Bahnfahrer begleitet. Pfeile auf der Treppe weisen nach oben und unten, selbst eine „Überholspur“ für sehr Eilige fehlt nicht. Auf dem Perron sind die Sektoren für die Einsteiger, die brav in Zweierkolonne warten, und die Bereiche für die Aussteigenden aufgemalt. Egoistische Drängler wie in der Schweiz gibt es hier nicht. Ist der Zug bis auf den letzten Stehplatz voll, und das ist er zur Rushhour garantiert, warten die Pendler in stoischer Ruhe auf den nächsten Zug, fünf Minuten später. Die Dichte der Fahrpläne ist unglaublich, wir vermuten, dass mehr einfach nicht gehen würde. Selbst der legendäre, wunderschön windschnittige  Hochgeschwindigkeitszug „Shinkansen“ fährt ab Tokyo tagsüber alle dreieinhalb Minuten (!) an unserem Hotel vorbei. Gemäss Wikipedia erreichen alle diese hochmodernen Züge in Japan pro Tag zusammengerechnet eine Verspätung von unter fünf Minuten. Nirgendwo auf der Welt fahren Züge so pünktlich. 

Läck, isch das heiss hüt . . .
Läck, isch das heiss hüt . . .

Hokkaido, in Japans Norden

Nach mehr als zwei Wochen Stadt, seit Chigasaki sind wir nur durch städtisches Gebiet geradelt, haben wir genug. Wir nehmen die Fähre von Oarai nach Tomakomai auf Hokkaido, der nördlichsten Hauptinsel Japans mit der Hauptstadt der Präfektur, Sapporo (von den olympischen Winterspielen 1972 träumen die Schweizer noch heute mit glänzenden Augen – längst vergangene, glorreiche Zeiten . . .). 19 Stunden dauert die bequerme und kurzweilige Fahrt auf dem grossen Schiff. Welch ein Gegensatz zu den vergangenen Wochen erwartet uns! Viel, viel Natur und eine vergleichsweise dünne Besiedlung geben dem Velofahren den besonderen Kick. Hokkaido war wegen der nördlichen Lage lange Zeit nur wenig bewohnt. Mit der herkömmlichen japanischen Landwirtschaft war es kaum möglich, Erträge zu erwirtschaften. Erst ab Mitte des 19. Jh. wurde die grosse Insel richtig besiedelt. Heute ist die Landwirtschaft, vor allem der Gemüseanabau, zum wichtigsten Wirtschftszweig geworden. Die Japaner lieben die Insel wegen ihrer tollen Natur und verbringen hier gerne Ferientage in den grossen Nationalparks. Für uns heisst das, ohne lange Suche einen Zeltplatz finden, einen wilden oder auf einem der vielen Campgrounds. Am dritten Abend schlagen wir unser Lager in einer abgelegenen Gegend nahe der wenig befahrenen Strasse auf. Auf der Wiese kann man uns nicht sehen und im nahen Bach ist das Bad einfach himmlisch. Allerdings ist auf Hokkaido zu beachten, dass es Braun- und Schwarzbären gibt (wie auf Honshu auch). D.h. den Abfall sicher verpacken und nachts unerreichbar für Meister Petz abseits des Lagers aufhängen, Lebensmittel gut verpacken, keine Essensreste wegschmeissen (die gibt es bei uns Fresssäcken sowieso nicht) und den Abwasch nicht neben dem Zelt erledigen. Als dann nach dem Eindunkeln auf der Strasse ein Auto brüsk bremst – wir wollen gerade in die Schlafsäcke kriechen – der Fahrer zweimal kräftig hupt und etwas aus dem Fester schreit, wird uns doch etwas mulmig (Bea behändigt vorsorglich mal die Trillerpfeife). Haben wir beim Kochen (Teigwaren und Würste) eine feine Nase mit grossen Tatzen angelockt? Oder war es nur ein Fuchs? Nehmen wir mal das Zweite an. (Im Jahr 2014 hat das Umweltministerium bis Ende August 43 Zwischenfälle mit Bären, bei denen Menschen verletzt wurden, gezählt. Hauptsächlicher Grund ist, dass den Bären immer weniger Lebensraum zur Verfügung steht, weil der Mensch mehr und mehr in die Natur vordringt.)

Bei der Hitze muss zum Mittags-Sandwich ein Bier her - Prost!
Bei der Hitze muss zum Mittags-Sandwich ein Bier her - Prost!
Wild wachsende Lilien an einer Strasse, wo wir diese Schönheiten nicht erwartet hätten.
Wild wachsende Lilien an einer Strasse, wo wir diese Schönheiten nicht erwartet hätten.
An jeder noch so kleinen Strassenbaustelle wird der Verkehr durch zwei Sicherheitsleute mit roten und weissen Fahnen geregelt.
An jeder noch so kleinen Strassenbaustelle wird der Verkehr durch zwei Sicherheitsleute mit roten und weissen Fahnen geregelt.

Von kleinen und grossen Fischen

Vor Chigasaki finden wir mit Glück einen lauschigen Zeltplatz auf einer offenen Waldlichtung. Genug weit von der Strasse, dass uns der wenige Verkehr nicht den Schlaf raubt und das Zelt nicht einsehbar ist. Wir hauen ein paar Bratwürste in die Pfanne, dazu gibt’s Teigwaren und einen guten Schluck Roten. So angenehm Hotels und weiche Betten zwischendurch sind (ganz besonders die heissen Duschen nach einem langen Tag im Sattel), das Outdoorfeeling mit Zelt und Freiluftküche kann nichts ersetzen, gehört für uns zum Velofahren wie der Tag zur Nacht. Vor allem, wenn es mal nicht giesst . . .

In Chigasaki erwarten uns Chiyoko und ihr Mann Kenji in ihrem hübschen Haus, wo wir drei Tage Pause einlegen dürfen, mit offenen Armen. Wieder mal sind wir Glückspilze! Sie verwöhnen uns nach Strich und Faden; wir lernen in der Zeit so viel über die japanische Küche, wie in zwei Monaten vorher nicht. Essen z.B. Ramen, eine sehr beliebte Suppe mit feinen Nudeln, serviert im Restaurant gleichen Namens, das nur dieses Gericht anbietet (echt lecker, der grosse Suppentopf, ist günstig und füllt den Magen). Wenn Japaner irgendwo anstehen, dann für eine Verlosung oder vor einem Ramen-Restaurant. Okonomiyaki nennt sich der japanische Pancake. Fein geschnittener Kohl, Eier, Mehl, Speck und andere Zutaten, ganz nach Belieben, werden zu einer cremigen Masse verarbeitet und auf dem Tischgrill gebraten (hmmm, sehr, sehr gut, besonders wenn noch feine Fischflocken darüber gestreut werden). Tempura, Gemüse mit Seafood im Eierteig frittiert, bereitet Chiyo nach eigenem Rezept zu – Genuss pur! Nicht fehlen darf natürlich Nihonshu, ein Glas süffiger japanischer Reiswein (Sake). Ja, wir lassen es uns echt gut gehen in den Tagen, im Wissen, dass die vielen Kalorien auf Hokkaido wieder purzeln.

Sightseeing macht hungrig. An dem Tag sind viele Schulklassen unterwegs.
Sightseeing macht hungrig. An dem Tag sind viele Schulklassen unterwegs.

Der Regenmonat Juni strebt offenbar seinem Höhepunkt zu; es giesst seit Tagen fast pausenlos. Uns ist so gar nicht nach Velofahren, wen wundert’s. Wenn schon Wasser, dann Meer. Schon länger liegt Pit Bea in den Ohren, dass er gerne mal wieder auf See fischen würde. Wir sind hier an der richtigen Adresse. Kapitän Kenji sticht mit Pit und fünf Unverdrossenen in See, um die ersten Tunfische der Saison an die Angel zu bekommen. Daraus wird dann nichts (Nur ein paar Goldmakrelen, oder Mahi Mahi, wie die Japanier sie nennen, beissen an. Die Einheimischen verschmähen die Dorade – unter diesem Namen kennen wir den schmackhaften Fisch in Europa – und schmeissen sie zurück ins Meer.), dafür schnappt am Nachmittag ein gut 2 Meter langer und 65 kg schweren Schwertfisch nach einem Haken. Fast eine Stunde dauert der Drill, dann ist der schlanke, schöne, pfeilschnelle Raubfisch (er gehört zur Familie der Knochenfische und soll mit bis zu 100 km/h durch die Meere jagen) an Bord. Schwertfische, deren Fleisch vorzüglich schmecken soll, werden hier nur sehr selten gefangen, entsprechend gross ist die Freude der Angler. Die von Pit hält sich in Grenzen.

Herzlichen Dank Chiyo und Kenji, dass wir eure Gäste sein durften. Es waren tolle Tage mit euch!

Inzwischen sind wir auf dem Weg nach Tokyo in der Hafenstadt Yokohama angekommen. Dürfen wieder unterschlüpfen und ein ganzes Appartement mitten in der City, im siebenten Stock, für eine Woche belegen. Nicht genug, dass der Kühlschrank bis obenhin mit Leckereien für die hungrigen Schweizer Velofahrer gefüllt ist, nein, wir werden von unseren Gastgebern gleich am ersten Abend aufs Vorzüglichste bekocht. Kann man wirklich so viel essen? Ja, wir können (und schlafen super in den weichen Betten, trotz bis obenhin gefüllter Trommel).

Herzlichen Dank unseren Gastgebern!

Der Dauerregen geht uns inzwischen buchstäblich am Ar . . . vorbei. Zeit, endlich die Steuererklärung auszufüllen. Das passt doch irgendwie zum miesen Wetter.

Nach zehn Tagen Sintflut – wir wagen am Morgen kaum die Vorhänge zu öffnen – blendet ein strahlender Tag und haut uns beinahe von der Bettkante. Es gibt sie also doch noch, die Sonne!

Gestern hat das Verlängern der Visas in Tokyo geklappt (wir dürfen weitere drei Monate im Land bleiben). Super, das macht Lust auf Velofahren. In ca. einer Woche geht unsere Tour auf der nördlichsten Insel Hokkaido weiter.

Okonomiyaki - heute futtern wir bis die Ohren wackeln.
Okonomiyaki - heute futtern wir bis die Ohren wackeln.
Chris aus Grossbritannien ist in Seoul, Südkorea, gestartet.
Chris aus Grossbritannien ist in Seoul, Südkorea, gestartet.

Zurück an den Pazifik

Die fünf Tagesetappen nach Matsusaka haben es in sich; wir haben es geahnt. Nach Tagen in Grossstädten ist Natur, Ruhe, Zelten und Kochen unter freiem Himmel genau das, was wir jetzt brauchen. Die flachen Kilometer nach Nara auf schönen Nebenstrassen sind zum Aufwärmen, dann geht’s ab in die Berge. Nicht nur der Verkehr nimmt zu, auch die Wolken werden mehr, kratzen an den bewaldeten Berghängen. So schwarz wie sie sind, sollte es eigentlich schon lange regnen.

Ohne Mühe finden wir den auf Google Earth angegebenen Auto-Zeltplatz. Es ist niemand da, wie nicht anders erwartet, aber wenigstens ist die Schranke offen und in der Nähe steht ein Unterstand, in dem wir am Trockenen Kochen und Essen können. Kaum steht das Zelt, wird’s nass. Zäh wie Melasse hängen Nebelschwaden in den Tannenwipfeln; der Regen und die einsetzende Dunkelheit geben der Szenerie etwas Mystisches (kurz gesagt, es ist einfach „gruusig“). Nach dem Duschen und Haare waschen (1,5l aus der Petflasche reichen Bea aus; dass es Duschen gehabt hätte, stellen wir erst später fest), trollen wir uns unter das Dach und fragen uns, was wir hier bei dem Schei . . .wetter eigentlich machen.

Nach einer Regennacht fährt am Morgen der Zeltplatzbetreiber vor und kassiert Fr. 30-! Hallo, eigentlich wollten wir nicht den ganzen Platz kaufen . . . Immerhin ist unsere Wäsche nach einer Waschmaschinen- und Tumblertour sauber und trocken (zusätzlich bezahlt, klar). Bei Sonnenschein und mässigem Verkehr geht’s weiter in die Berge.

Über Kumano (die direkte Strasse nach Owase ist wegen eines Felssturzes gesperrt) und Matsusaka fahren wir ohne Zwischenfälle nach Toba, nehmen da die Fähre nach Iragomisaki. Die Zeltplatzssuche gestaltet sich zunehmend schwieriger. Die offiziellen sind alle noch geschlossen. Campingsaison ist in Japan in den Ferienmonaten Juli und August, in dieser Zeit sind die ca. 3'000 Campgrounds offen. Nicht zu vergleichen sind die Zeltplätze mit denen in Europa. Der Standard ist meist sehr einfach, warm duschen oft nicht möglich, einen Laden oder ein Restaurant sucht man vergebens. Wir fragen uns öfter, wie so ein Platz bei zwei Monaten Betrieb rentieren kann. Nahe der Küste und grosser Städte wird das Suchen nach einem Platz zum wild Zelten zur Geduldsprobe. Dichte Besiedlung und die Reisfelder setzen enge Grenzen. Wir sind uns nicht immer einig, ob man es wagen kann, das Zelt aufzuschlagen oder doch lieber weiter suchen sollte.

Entlang der Küste bis nach Fuji, am Fusse des gleichnamigen Berges, gibt es direkt am Meer einige schöne Abschnitte zum Velofahren. Verkehrsfreie Fahrradwege machen das Bummeln auf den Velos zum Vergnügen, wären da nicht immer wieder Sanddünen, die sich auf den schmalen Weg verirrt haben. Fahren geht nicht, das Schieben wird zur Schinderei. Trotzdem, am Meer sein, pedalend oder zu Fuss abmühend, das Brausen der Brandung in den Ohren und das Salz auf den Lippen – wir lieben den Ozean über alle Massen! Weite Sandstrände bieten den Wellenreitern, die sich am Wochenende zu hunderten in den weiten, schäumenden Brechern des Pazifiks tummeln, überall Zugang zum Meer. Auch Japaner lieben das Meer, ob auf dem Brett oder mit der Fischrute in der Hand und sowieso alles, was sich daraus essen lässt.

Regen, Regen, Regen. Langsam wird's ungemütlich.
Regen, Regen, Regen. Langsam wird's ungemütlich.

Nahe Hamamatsu hat Pit auf dem Navi einen Campingplatz auf einer Halbinsel gefunden. Das schöne, warme Wetter an diesem Samstag hat die Japaner mit Kind und Kegel auf den Platz gelockt. Die meisten bleiben nur tagsüber, dafür scheuen sie aber keine Mühe, sich die Stunden so gemütlich wie möglich zu gestalten, unglaublich, was nur für kurze Zeit aufgebaut wird. Endlich mal Gesellschaft beim Campieren!

Die Regenzeit dauert hier im südlichen Japan den ganzen Juni über, also Zeit, dass es wieder mal giesst. Das tut es am Abend und in der Nacht so ausgiebig wie nie zuvor. Irgendwann vermag der Boden den Regen nicht mehr aufzusaugen; jetzt wird unser Zelt zur Insel auf der Insel. Am Morgen steht das Camp wirklich mitten in einem See. Zum Glück ist der Zelboden soweit dicht; noch sitzen wir im Trockenen. Irgendwann hört es auf zu Schütten, Zeit für das Morgenessen und weiter zu ziehen. Denkste, bevor alles gepackt ist geht das Spiel von vorne los. Also rein ins Zelt. Wir hängen einen Tag Faulenzen und Lesen bei Dauerregen an. Am Abend verschieben wird das Zelt um ein paar Meter und am nächsten Morgen brennt die Sonne vom Himmel, als wäre sie nie weg gewesen.

Nicht der Hit, der Zeltplatz, aber für eine Nacht geht das schon.
Nicht der Hit, der Zeltplatz, aber für eine Nacht geht das schon.
Auf dem Pazifikküsten-Radweg.
Auf dem Pazifikküsten-Radweg.
Zum Glück bleiben solche Aufstiege selten.
Zum Glück bleiben solche Aufstiege selten.

Unsere Route führt weiter der Küste entlang, nicht immer auf ruhigen Wegen. Der dichte Verkehr mit vielen Lastwagen fordert ganze Aufmerksamkeit, vor allem wenn die motorisierten Schuhschachteln zögerlich überholen, sich nah an uns vorbei drücken. Es hätte mehr als einen halben Meter Platz bis zur Mittellinie, aber nein, aus Angst vor dem Gegenverkehr (oder fahrerischem Unvermögen?) drückt man lieber Velofahrer an den Strassenrand. Es hat keinen Sinn, sich zu nerven, lieber abhauen wann immer möglich.

Zwei Tage vor der Küstenstadt Fuji bietet sich nach längerer Suche ein grosser Unterstand in den Dünen zum Übernachten an (sieht aus wie ein Tempel). Wir lassen das Zelt im Sack und blasen bloss die Schlafmatten auf. Den Wellenreitern, die vor der Tür parkieren ist wurscht, was wir hier treiben.

 

Fuji futsch

Noch immer zeigt sich der Berg der Berge Japans nicht, hat die Wolken fest um seine Schultern gezogen. Ist der Fuji futsch? Endgültig kommen uns Zweifel, ob es den Vulkan überhaupt gibt, als ein Posthalter am Stadtrand von Fuji auf unsere Frage, wo denn der Berg sei, vergeblich ein Bild des heiligen Riesen auf seinem Mobilephone sucht. Sehr verdächtig . . .

Am anderen Morgen, nach einer sehr ruhigen Nacht auf einem abgeernteten Feld, dann der grosse Augenblick: majestätisch und über alles erhaben, lässt der Fuji ganz langsam den Kraterrand aus Nebelschwaden auftauchen – um sich kaum fünf Minuten später wieder zu verhüllen. Es gibt ihn also doch, den heiligen Berg Fujisan! Wir freuen uns auf die Fünf-Seen-Tour rund um den grossen Vulkan.

Zelten am Fusse des Fujiyamas.
Zelten am Fusse des Fujiyamas.

Blick hinter die Kulissen

An den südlichen Hängen des Fuji lösen grosse Milchwirtschaftsbetriebe den Ackerbau und die Reisterrassen ab. Zuerst fahren wir durch das Infozentrum „Milchland Fuji“, in dem den Japanern erklärt wird, dass die Milch nicht aus dem Supermarkt kommt und was sich alles daraus herstellen lässt. Pieksauber, schön dargestellt, vorbildliche Tierhaltung. Die mit Bussen angereisten Besucher werden sicher beeindruckt sein. Später, wir fahren auf kleinen Strassen abseits vorbei an riesigen Stallungen, dann die andere Seite der Medaille, dort wo kein Tourist hingefahren wird.

Die verdreckten schwarz-weissen Hochleistungsmilchkühe stehen und liegen angebunden im eigenen Kot, Stroh sehen wir keines. Weidehaltung gibt es hier offenbar nicht, nur zum Ausmisten der Stallungen mit Kleintraktoren werden die Tiere in enge Koppeln getrieben. Überhaupt machen Gebäude, Maschinen und die Kraftfuttersilos vielfach einen heruntergekommenen Eindruck. Wir haben das Gefühl, die Kühe sind einzig und allein zum viel Milch produzieren eingestallt. Auch das ist Japan. Immer wieder interessant, der Blick hinter die Kulissen.

Die Tour rund um DEN Berg in Japan, vorbei an fünf idyllischen Seen, wird als ein Muss in den Infos beschrieben. Vielleicht ist das regnerische Wetter daran schuld, aber wir finden, ein Muss ist die Tour nicht. Sicher, die Seen liegen malerisch eingebettet in bewaldeten Senken am Fusse des Fujiyamas und an schönen Wochenenden wird hier der Teufel los sein. Aber zum Velofahren sind die Strassen und vor allem ihre Radwege alles andere als idyllisch. Viel Verkehr auf der 139 – der man leider nicht überall ausweichen kann – und die zugewachsenen Velostreifen machen das Treten mühsam. Touris lassen sich in einem halben Tag um den Berg chauffieren, legen da und dort einen Fotohalt ein, und sind – wusch – Richtung Tokyo oder Osaka verschwunden. Mit dem Velo wird sich kaum ein Japaner um den Fuji abmühen. So oder so, wir geniessen das Fahren und die kurzen Etappen. Sooo schööön, vieeeel Zeit zu haben!

So imposant kann er sich zeigen, der heilige Berg Fujiyama (Bild aus dem Internet).
So imposant kann er sich zeigen, der heilige Berg Fujiyama (Bild aus dem Internet).
Wir hatten eine tolle Zeit bei unserem Warmshowers-Gastgeber Ken in Kyoto.
Wir hatten eine tolle Zeit bei unserem Warmshowers-Gastgeber Ken in Kyoto.
In Kyoto's Altstadt gibt es gemütliche Gassen zum Bummeln und gut Essen.
In Kyoto's Altstadt gibt es gemütliche Gassen zum Bummeln und gut Essen.

Lake Biwa, Kyoto, Osaka

Die (vorläufig) letzte Zeltnacht am Japanischen Meer in Takahama beginnt mit Diskussionen. Lange suchen wir einen geeigneten Platz, was sich bei der dichten Besiedlung nicht ganz einfach gestaltet. Zudem verschlechtert sich das Wetter zunehmend, düstere Wolken drohen uns mit Regen und tatsächlich fallen die ersten Tropfen am späten Nachmittag. Wir streichen um jede noch so kleine Wiese, inspizieren den Strand und hoffen dass ein Wunder geschieht und rasch ein Platz für das Zelt aus dem Nichts auftaucht. Die ewige Sucherei nervt zunehmend. Im Hafenbereich von Takahama liegt leicht erhöht eine kleine Wiese, die als Notlösung herhalten muss. Für eine Nacht wird sich wohl niemand an zwei Langnasen mit Zelt stören. Wir sitzen bei leichtem Nieselregen gemütlich beim Apérobier in der Apsis, da wird draussen nach uns gerufen. Scheisse, gibt’s jetzt doch Probleme? Der Aufpasser in Uniform gibt uns mit gekreuzten Armen unmissverständlich zu verstehen, dass Zelten hier verboten ist. (Ordnungshüter wie ihn gibt es in Japan sehr viele. Klopft irgendwo ein Strassenarbeiter an einem Randstein herum, während sein Kollege zwei Schaufeln Dreck wegräumt, stehen auf jeden Fall zwei Uniformierte korrekt mit Helm, Leuchtweste, weissen Handschuhen und Signalkelle ausgerüstet dabei, die die Autos sicher um die Baustelle winken, selbst auf Strassen, wo alle zehn Minuten mal ein Auto vorbei kommt. Die Männer in Uniform sammeln Müll ein, bewachen Parkplätzte, regeln den Verkehr bei Einkaufszentren, wachen über Fahrverbote und sind schnell zur Stelle, wenn ein Zelt an einem Ort steht, wo es ihrer Meinung nach nicht hingehört – Ordnung muss sein.) Nach einigem Hin und Her und deuten auf den schwarzen Himmel hängt er sich ans Telefon, erwähnt u.a. „Swissö“ (Schweiz auf japanisch) und erklärt uns dann, dass sein Chef erlaubt, eine Nacht zu bleiben. Vermutlich war der rote Pass wieder mal hilfreich. Nach ruhigem Schlaf treibt uns die Sonne früh am nächsten Morgen aus dem heissen Zelt.

In Kyoto begegnet man öfter Frauen in schönen Kimonos.
In Kyoto begegnet man öfter Frauen in schönen Kimonos.

Die gemütliche Fahrt zum Lake Biwa, dem grössten Süsswassersee Japans (mit 674 km2 um knapp einen Viertel grösser als der Bodensee), bietet viel Abwechslung. Die schmale Strasse ohne Verkehr hoch über dem blau-grünen Meer und die steilen schmalen Buchten erinnern uns stark an die Fjorde Norwegens. Um so mehr überrascht uns das plötzliche Auftauchen von Affen auf der Strasse. Japanmakaken, so heissen die Primaten aus der Familie der Meerkatzenverwandten, leben in Japan in grossen Familien, kommen vom Süden bis in den Norden vor, ausgenommen auf der nördlichsten Insel Hokkaido. Die Tiere beäugen uns neugierig aus Distanz. Autos und Fussgänger kennen sie, aber so komische Wesen auf zwei unförmigen Rädern sind ihnen offenbar suspekt. Den putzigen Affen begegnen wir nun fast täglich und freuen uns, wenn sie sich nicht gleich in stürmischer Flucht in die Büsche schlagen. In Japan sind sie nicht überall gut gelitten, vor allem dann nicht, wenn sie sich in Vorstädte wagen um sich in den gepflegten und gehätschelten Gemüse- und Obstgärten zu bedienen.

Der Lake Biwa ist bei den Japanern als Naherholungsgebiet sehr beliebt; hier finden wir offizielle Zeltplätze an den schönsten Ecken und Stränden. Pit stürzt sich in die kühlen Fluten – wow, tut das gut!

Die alte Stadt Kyoto, 794 bis 1869 Sitz des kaiserlichen Hofes von Japan und bis heute kulturelles Zentrum des Landes, fasziniert nicht nur uns. Für Japanreisende steht sie ganz oben auf dem Reiseprogramm. Ja, hier begegnen uns viele Touristen. Ein buntes Sprachenwirrwarr, das wir so schon lange nicht mehr erlebt haben.

Kyoto (1,5 Mio. Einwohner) wurde aus Rücksicht auf seine über 2000 buddhistischen Tempel und Shintō-Schreine, seine wunderschönen Paläste und herrlichen Gärten im letzten grossen Krieg von Bombardements verschont. Nach einer Nacht im Hotel dürfen wir bei Warmshowers Ken drei Nächte unterschlüpfen. Ken ist ein grosszügiger Gastgeber, der sich in der Stadt auskennt, weiss wo das beste Sushi-Restaurant zu finden ist und wo das nächste Sento (japanisches Badehaus) liegt. Herzlichen Dank, Ken, für deine tolle Gastfreundschaft!

Unser nächstes Ziel, Osaka, ist eigentlich mit Kyoto verschmolzen. Trotzdem pedalen wir 60 Kilometer dem Fluss Yodo entlang in die 2,6 Mio.-Metropole. Kyoto, Osaka und Kobe bilden zusammen eine der grössten Metropolregionen der Welt. Ken meint, wir könnten mit dem Velo drei Tage lang fahren und würden immer noch in städtischem Gebiet pedalen. Trotz der dichten Besiedlung gibt es auf unserem Weg überraschend viel Grün, tolle Radwege, viele Sportplätze in den Flussauen und jede Menge Golfplätze. Für unser Verständnis fühlt sich Grossstadt anders an. Wir lassen es gemütlich angehen und könnten das Fahren geniessen, wenn da nicht die vielen engen Gates wären, die den Velotourentag zum Gewichthebertag degradieren würden. Damit ja kein Moped die Radwege befahren kann, sind die vielen Tore – es werden für uns fast zwei Dutzend – so eng ausgelegt, dass wir unsere 50 kg-Räder jedes Mal schweisstreibend über die Hinternisse hieven müssen. So eine dämliche Schinderei!

Trotzdem, selbst aufgeschürfte Schienbeine können die Vorfreude auf den Besuch aus der Schweiz nicht trüben. Wir geniessen ein tolles Hotel, leckere Mitbringsel aus der fernen Heimat (nie vorher ist uns Appenzellerkäse so fein auf der Zunge geschmolzen!!) und unbeschwerte Stunden mit Charly auf Trips quer durch Osaka. Herzlichen Dank, Charly, für deine Grosszügigkeit und dass du dir Zeit für uns genommen hast! Es war eine sehr schöne Zeit mit dir.

Wir geniessen die Abende mit Yoko und Ken in Kyoto.
Wir geniessen die Abende mit Yoko und Ken in Kyoto.

Übrigens noch zu Hotels in Japan:

Was wir besonders schätzen ist, dass viele Unterkünfte Waschmaschinen und Tumbler zur Verfügung stellen. Wenige hundert Yen erlösen Bea vom Handwaschen und uns von umständlich installierten Wäscheleinen im Hotelzimmer. Oft gibt es in der Lobby oder in den einzelnen Stockwerken Mikrowellengeräte. Essen im Hotelzimmer, in vielen Ländern nicht gern gesehen oder gar verboten, ist in Japan durchaus üblich (für uns sowieso).

 

Spezieller Tip zum Übernachten: In Japan gibt es ca. 25'000 sogenannte „Love-Hotels“. Die sehr grossen Zimmer mit Bad, WC, Whirlpool, Mikrowelle, WiFi u.a. kosten weniger als die Hälfte der sonst kleinen Hotelzimmer mit wenig Komfort und sind auch über die üblichen Buchungsplattformen zu reservieren.

Wie der Name schon sagt, dienen die Hotels einem bestimmten Zweck, der in Japan aber nicht anrüchig zu sein braucht, weil die Wohnungen in der Regel sehr klein sind und wenig Platz für ungestörtes Zusammensein bieten.

Auf dem Weg an die Pazifikküste fahren wir einen Schlenker nach Nara, Hauptstadt Japans von 710 bis 784, eine knappe Tagestour weg von Osaka. Es gibt da einen Zeltplatz am Stadtrand, leider ist er nicht nur geschlossen, sondern verrammelt wie eine Festung. Keine Chance, an ein Zeltplätzli zu kommen. Wir finden dann um die Ecke, abseits im Wald, ein paar Quadratmeter Wiese für unser Wigwam. Nach einer ruhigen Nacht entdeckt uns um 04.45 (!) trotzdem ein Frühaufsteher, sieht die Velos, geht aber und lässt uns noch zwei Stunden weiter pennen. Um diese Zeit im Wald? Wir glauben es nicht. Vor allem, weil wir Japan nicht als Land der Frühaufsteher erleben; die Rushhour kommt erst um sieben Uhr morgens richtig in Gang. Schüler schlendern nach acht Uhr gemütlich Richtung Schule, Anzugträger genehmigen sich bei Lawson um dieselbe Zeit ein Frühstück oder zumindest einen Kaffee.

Bald muss eine neue Velohose her.
Bald muss eine neue Velohose her.

Löcher, blinde Scheiben und andere Abnützungen

Zweieinhalb Jahre Tour, grosse Hitze, Kälte, Regen, stürmische Winde, Sand, Schlamm, Höhenmeter ohne Ende, tausende Stunden im Sattel und viele, viele Schweisstropfen haben unserer Ausrüstung hart zugesetzt. Im Grossen und Ganzen aber hat sich jedes Teil gut bewährt. Durch das tägliche Tragen und häufige Waschen und Auswinden von Hand sind Hemden, Velohosen, Leibchen und Socken brüchig geworden. Zeigt sich erst mal nur ein kleines Loch, fallen die Kleidungsstücke wenig später buchstäblich auseinander. Unseren Brillen hat vor allem der Schweiss arg zugesetzt. Die Gläser sind nahezu blind geworden, Sand und viele Stunden auf unseren Nasen hinterlassen deutliche Spuren. Unser erster Laptop hat gut zwei Jahre tapfer holprige Strassen, Schläge, Stürze, Temperaturschwankungen und Feuchtigkeit ausgehalten, liess sich in Tiflis reparieren bis er dann in Bangkok definitiv Macken bekam.

Das Zelt ist seit der Sturmnacht in China leicht ramponiert, d.h. neben einer gerissenen Spannschlaufe finden sich zahlreiche kleine Löcher im Aussenzelt. Das Beschweren mit Steinen hat uns das sonst sehr zähe Material übel genommen. Sehr gut hat sich bisher unser Benzinkocher bewährt. Zwei-, dreimal putzen, Düse reinigen aber vor allem die sorgfältige Handhabung (Pit ist mit „seiner Küche“ ein wahrer Gäggeler) hat uns bis heute vor Schäden und Ausfällen verschont.

Hätten unsere Velos bei der Bahnfahrt in Myanmar nicht so gelitten, man würde ihnen die ca. 35'000 Kilometer Schwerarbeit kaum ansehen (die Lackreparaturen mit Nagellack in Thailand waren eine Top-Tip von Bea). Zwei gerissene Ketten, zwei gebrochene Flaschenhalter und Rückspiegel sind wenig Schäden auf die vielen Kilometer. Die Bremsklötze hat Pit viermal gewechselt, ein Dutzendmal haben wir gemeinsam Platten behoben. Sonst sind wir (Holz anfassen!) von materiellen Schäden verschont geblieben.

Am Allerwichtigsten ist aber, dass wir selber bisher grosses Glück hatten und ausser diversen Magengeschichten, laufenden Nasen und ein paar Kratzern keine gesundheitlichen Probleme kurieren mussten. Das ist nicht selbstverständlich.

Neben diversen Nationalparks ist die Küste auch geologisch interessant.
Neben diversen Nationalparks ist die Küste auch geologisch interessant.

Treten am Japanischen Meer

Die nördliche Küste – von Tottori bis nach Südkorea sind es gerade mal 250 Kilometer – ist nicht weniger attraktiv zum Velofahren als die Pazifikküste von Shikoku. Leider bleibt uns der rege Verkehr ebenfalls auf den Fersen. Nicht der Lärm ist problematisch, sondern die schmalen Strassen, die uns wenig Platz lassen. Wir versuchen wann immer möglich am Wasser zu bleiben, was durchwegs mehr Kilometer wegen der vielen Kurven bedeutet, von happigen (Bea) Steigungen ganz zu schweigen. Grandiose Ausblicke auf die schroffe Küste und rassige Downhills (Pit) lassen Schweisstropfen rasch verdunsten – so schön, hier fahren, geniessen zu dürfen, wo kaum je ein Touri hinkommt.

Bisher waren Kontakte mit Einheimischen sehr rar. Vor der Küstenstadt Dottori ändert sich das an einem einzigen Tag radikal. Beim Mittagessen auf einem erhöhten Aussichtspunkt stehen unvermittelt fünf junge Ladys vor uns, überreichen den zwei verdutzten Schweizern ofenheisse Donats, Bananen und ein Energiegetränk und sind nach guten Wünschen für die Weiterreise und Erinnerungsfotos – schwupps – verschwunden. Wie haben sie uns gefunden? Wir hatten kaum Zeit, uns richtig zu bedanken. Eine gute Stunde später, wir fahren auf einem Radweg etwas abseits, stoppt ein Autofahrer und überreicht herrlich erfrischenden Eiskaffee! Im Strassengraben sitzend erfahren wir, dass er vor vierzig Jahren Europa als Backpacker bereist und schöne Erinnerungen an die Schweiz mitgenommen hat. Am späteren Nachmittag, wir suchen einen Zeltplatz, spricht uns eine Familie aus Singapore an. Nie vorher haben sie so Verrückte getroffen, die mit dem Velo um die halbe Welt fahren. Natürlich gibt es Fotos; mit ihren blauen Turbanen setzten sie einen bisher fehlenden Farbtupfer in unser Erinnerungsalbum. Und abends dann, beim Kochen am Strand, gesellt sich eine junge japanische Familie zu uns. Der aufgestellte Familienvater, selber begeisterter Radfahrer, schwirrt mit seiner grossen Nikon um uns wie eine Motte ums Licht, fotografiert einfach alles, sogar die Hörnli in der Pfanne sind interessant. Grinsend lassen wir das Spektakel über uns ergehen.

Ja, heute war kein Tag wie jeder andere. Wir haben aber nichts dagegen, wenn weitere solche folgen.

(FALLS DAS VIDEO NICHT LAUFEN SOLLTE, EINE VERSION OHNE MUSIK UNTER "VIDEOS")

Han, Okazu, Misoshiru, Tofu, Natto, Sushi und andere Gaumenfreuden

Höchste Zeit, ein paar Worte über die japanische Küche zu verlieren, so wie wir sie erleben. Beim Velofahren ist Essen keine Nebensache, wie diverse Male beschrieben, und alles was über das triviale Ernähren hinaus geht, eine höchst willkommene Abwechslung. In Japan verwöhnen wir uns nach Strich und Faden selbst. Dem immens grossen üppigen Angebot in Supermärkten und den „gluschtigen“ Menuvorschlägen in den Restaurants setzt nur unser Portemonnaie Grenzen – leider.

Die meiste Zeit kochen wir beim Zelten selber. Ersten macht es Spass, zweitens ist es günstiger als Essen im Restaurant und drittens gibt es entweder Bier oder Wein zum Essen (einen Roten aus Italien oder Spanien gibt es schon für ca. Fr. 6.-, die Halbliterdose Bier kostet Fr. 1.50). Vor allem Bier ist in den Beizen sehr teuer.

Fisch, Krabben, Muscheln und anderes Getier aus dem Meer kommen in allen Variationen – fangfrisch roh, eingelegt, mariniert, gebraten, gekocht, getrocknet usw. – bei Familie Nippon häufig auf den Tisch, wie könnte es anders sein. Wir haben vor allem an Sushi den Narren gefressen, kein Wunder, bei der grossen Auswahl. Allgemein wird nicht stark gewürzt gegessen, Schärfe fehlt weitgehend. Dafür darf das Auge in Japan noch vor dem Magen kosten. Speisen schön präsentieren und anrichten gehört in Japan zur Essenskultur.

Han, gekochter Reis, ist wichtiger Bestandteil der japanischen Küche. Uns ist die Getreideart noch nicht verleidet, was nach vielen Monaten futtern fast an ein Wunder grenzt. Spätestens wenn wir feststellen sollten, dass wir vom Reis essen Schlitzaugen kriegen, ist Schluss damit!

Über Okazu, also alle Arten von Beilagen, machen wir uns besonders gerne her. Meist ist nicht ganz klar, was wir zwischen die Stäbchen nehmen, bisher hat es ausnahmslos geschmeckt. Pit mag besonders sauer eingelegten Kohl und anderes Gemüse (?), Pilze und nicht zuletzt feinen Seetang. Ein Menu im Restaurant besteht also nicht aus einem vollgefüllten Teller, sondern aus mehreren Schalen. Mit dabei immer eine Misoshiru, japanische Suppe, sehr heiss, mit verschiedenen Einlagen.

Tofu kommt in vielen Variationen auf den Tisch (ja, kann man auch als Nicht-Vegetarier essen und schmeckt erst noch lecker). Natto, aus gekochten und anschliessend fermentierten Sojabohnen hergestellt, haben wir noch nicht probiert. Das schleimige Fäden ziehende, stark riechende Lebensmittel, soll gut schmecken und erst noch gesund sein (Mal sehen, ob uns Natto mundet. Oft ist es ja so, dass, was gesund ist oder sein soll, scheusslich schmeckt).

Ebenfalls noch nicht gegessen haben wir das sehr fein durchzogene Beef vom Wagyū-Rind, einer Rinderrasse japanischen Ursprungs, das exzellent im Geschmack sein soll (und nicht ganz billig ist). Und, man höre und staune, die Japaner bereiten einen Kartoffelsalat zu, der den Vergleich mit seinem Schweizer oder deutschen Pendant nicht zu scheuen braucht. Zusammen mit einer Bratwurst, Senf und einem knusprigen Baquette gegessen . . . hmmmm, eine lange nicht mehr genossene Schlemmerei für zwei hungrige Schweizer Velofahrer!

 

Alles in allem ist die japanische Küche für uns eine Entdeckungsreise, die wir gerne noch lange geniessen.    

Und das als Kulisse beim Nachtessen . . .
Und das als Kulisse beim Nachtessen . . .
Hier, im Stadtzentrum von Hiroshima, wurde am 6. August 1945 die erste Atombombe im kriegsmässigen Einsatz gezündet.
Hier, im Stadtzentrum von Hiroshima, wurde am 6. August 1945 die erste Atombombe im kriegsmässigen Einsatz gezündet.
Schulklassen besuchen das Museum in Hiroshima. Schwer verträgliche Kost, auch für uns.
Schulklassen besuchen das Museum in Hiroshima. Schwer verträgliche Kost, auch für uns.

Auf und ab, quer über die Insel

Wir wollen Honshū in nördlicher Richtung auf der 54 queren und hoffen, in drei bis vier Tagen Izumo an der Küste zu erreichen. Die Sonne zeigt sich von ihrer wärmsten Seite, der Verkehr hält sich in Grenzen und Steigungen gibt es in Hülle und Fülle. Also der richtige Mix für uns. Beim ersten Mittagessen, für einmal in einer Beiz, gibt es als Vorspeise ein leichtes Erdbeben das uns die Stäbchen auf die Seite legen lässt. Da aber niemand davon weiter Notiz nimmt, verzichten wir darauf, unter den Tisch zu kriechen, wie das Warnhinweise beim Eingang empfehlen. Uns europäische Langnasen kann man noch schnell einen Schrecken einjagen.  

Dabei gibt es einige tausend Beben pro Jahr, allerdings sind nur einige hundert spürbar. Es bleibt also noch Zeit, sich daran zu gewöhnen.

Die gute Strasse führt über weite Strecken durch Reisfelder und kleine Obstplantagen, vor allem Orangen und Yuzu, eine Frucht ähnlich der Orange aber etwas grösser und im Geschmack wie eine milde Grapefruit. Landwirtschaft dominiert klar, Industrie sehen wir wenig. Und immer wieder Wald. Irland kennt man unter dem Begriff „Grüne Insel“, das trifft für Japan in der Mehrzahl durchaus auch zu. Zeltplätze, meist wilde, finden sich immer. Besonders angetan haben es uns die offiziellen Rastplätze, die über Toiletten (z.T. mit – man staune über den Luxus – beheizten Klobrillen!), fliessendes Wasser und eine Wiese für das Zelt verfügen.

Endlich kommen wir auch kulinarisch wieder auf unsere Kosten. Wir streichen in den riesigen Einkaufszentren wie Kinder um Süsswaren um die Auslagen und jedesmal fällt es uns schwer, einen Entscheid zu treffen. Einfach genial, was es alles zu futtern gibt! Heute Abend sieht das Menu folgendermassen aus: Speck, Eier, feines Brot, Teigwaren, einen guten spanischen Tropfen und zum Nachtisch leckere Backwaren mit Kaffee. Was will ein hungriger Velofahrermagen mehr?

Nicht immer sind die Radwege ein Hit. Dann nehmen wir eben die Strasse.
Nicht immer sind die Radwege ein Hit. Dann nehmen wir eben die Strasse.

Eine andere, faszinierende Welt, die Lust auf mehr macht

Als Der Herr die Asiaten erschuf, muss Er eine Weile probiert haben. Mal waren von diesen Eigenschaften zu wenige, mal von jenen zu viele vorhanden. Auch Masse erwies sich nicht als Klasse. Aber dann, als Er mit seiner Schöpfung zufrieden war, muss Er die Japaner erschaffen haben. So jedenfalls stellen wir uns das vor.

Wir finden im Inselstaat vieles, das auf unserer Reise seit Monaten nicht vorhanden war und vermissen anderes keine Minute, das uns mit der Zeit mehr und mehr auf die Nerven ging.

Japan ist unglaublich sauber. Abfall trennen ist so selbstverständlich wie Zähne putzen. Jeder macht es. Abfalleimer gibt es im öffentlichen Raum aber sehr wenige. Trotzdem, nirgends liegt Müll herum. Auf keinem Rastplatz, an keinem Strassenbord, in keinem Tobel, nicht in Hafenbecken und erst recht nicht in Flüssen und Bächen findet sich Abfall. Wir staunen jeden Tag aufs Neue. So krass der Gegensatz zu einigen Reiseländern vorher. Sehr sauber sind öffentliche Toiletten (wir haben auf einem Zeltplatz zwei Tage gesehen, wie häufig Autofahrer anhalten, nur um zu pinkeln). Schmierereien und Graffitis? Es gibt sie schlicht nicht. So schön, Velo fahren und Zelten ohne immer auf Scherben oder anderen Schrott achten zu müssen! Unsere Müllsäcke fahren oft stundenlang mit, bis wir sie endlich entsorgen können. Der Japaner nimmt generell allen Abfall mit nach Hause. Nicht mal Zigarettenstummel liegen auf der Strasse. In den Städten (z.B. in Hiroshima haben wir das gesehen) gibt es in öffentlichen Bereichen, ja selbst auf Strassen und Plätzen Raucherräume, die rege benutzt werden. Überhaupt die Luft . . . tief durchatmen bedenkenlos und überall möglich (bisher). Das Leitungswasser darf man in ganz Japan ohne Einschränkung trinken, was uns als Velofahrer sehr zugute kommt.

Nie vorher haben wir so ein sauberes Land bereist, wie Japan. Sorry, da kann die Schweiz nicht mithalten.

 

Unglaublich das Warenangebot in den zahlreichen riesigen Supermärkten. Es gibt einfach alles zu kaufen, nur das Käseangebot ist sehr mager. Wer Fisch und andere Meerestiere mag, ist hier im Schlaraffenland. Natürlich Sushi in allen Variationen, sehr frisch, schön angerichtet und erst noch bezahlbar. So macht selber Kochen beim Zelten echt Spass. Wir futtern und geniessen, was der Geldbeutel zulässt!

Japaner sind, so wie wir das erleben, sehr zurückhaltend und diskret. Manchmal grenzt das schon fast an Ignoranz; uns als Velofahrer beachtet man kaum. Zelten, selbst nahe von Ortschaften, wird geduldet und nie würde es Einheimischen in den Sinn kommen, uns zu stören. Aber wenn wir mal Hilfe brauchen reissen sich Japaner ein Bein aus und setzten alle Hebel in Bewegung, um uns zu helfen, selbst wenn das sprachlich nicht immer einfach ist. Das Land gilt als eines der sichersten weltweit und bisher haben wir das auch so erlebt.

 

Wir wissen, viele Superlativen auf einmal. Ganz sicher schätzen wir aber nach den vergangenen Reisemonaten jeden grossen und kleinen Luxus doppelt.

Der Pazifische Ozean ist hier sehr klar.
Der Pazifische Ozean ist hier sehr klar.

Wilde Natur am Pazifik

Das grüne, wilde Iyatal im östlichen Teil der Insel Shikoku mit seinen Schluchten, wunderbar klaren Flüssen, schroffen Berghängen und kleinen Dörfern, ist bei den Japanern als Wochenend-Ausflugsziel sehr beliebt. An manchen schönen Sonntagen muss die schmale Strasse wegen des grossen Andrangs zeitweise gesperrt werden. Mitten in der Woche bei schönstem Frühlingswetter unterwegs, überholt uns ab und zu ein Auto, sonst ist nichts los. Vogelgezwitscher und das schwere Keuchen zweier Radfahrer am Berg ist alles, was unsere Ohren zu hören bekommen. Erholsame Ruhe – wir wissen kaum mehr, wie sich das anhört.

Das schmale Strässchen windet sich in einer schier endlosen Kurve auf gut 600 m ü.M. hoch und vor lauter Fahrvergnügen verpasst Pit die Abzweigung Richtung Köchi. Also zurück. Unter einer hohen Brücke finden wir einen guten Zeltplatz und die paar Regentropfen in der Nacht sind uns egal.

Campieren ausserhalb der 3000 offiziellen Zeltplätze im Land ist grundsätzlich illegal. Weil aber die Japaner selber gern campen, vor allem in den Sommerferien ein Vergnügen vieler, wird das Zelten in der Natur geduldet. Nur in den mehr als 60 Nationalparks ist campieren strickt verboten. Bisher hatten wir nie das geringste Problem.

Japan steht im Ruf, ein teures Land zu sein, was wir nur teilweise bestätigen können. Nippon besitzt einen hohen Lebensstandard, logisch schlägt sich das im Preisniveau nieder. Das wirtschaftlich hoch entwickelte Land steht hinter China, den USA und Deutschland auf Platz vier der exportstärksten Länder. Wir finden, dass die Preise für Lebensmittel in etwa denen Deutschlands entsprechen, ausgenommen importierte Südfrüchte, für die man tief ins Portemonnaie greifen muss. Hoch sind im Vergleich zu den vorher bereisten Ländern die Hotelzimmerpreise. Mindestens Fr. 60.- muss für ein Doppelzimmer hingeblättert werden, das oft nur 10 m2 (oder noch weniger) misst und einen bescheidenen Komfort bietet. Allein daher ist Zelten für uns ein Muss (ein Zimmer gibt’s nur ab und zu für die grosse Wäsche, uns eingeschlossen, oder allenfalls nach Regentagen zum Trocknen der Klamotten).

Mühsam und schwierig war für uns bisher der Zugang zum Internet, man würde es in diesem hoch technisierten Land kaum glauben. Öffentliches WiFi gibt es nur spärlich, nicht mal bei McDonalds – wie sonst in jedem bisher bereisten Land üblich - kann man darauf zählen. Selbst in den Hotels ist Internet nicht Standard und manchmal nur in der Lobby verfügbar. Heute haben wir – oh Wunder – die „Japan Travel SIM“, eine Daten-SIM-Karte (ohne Telefon und SMS) mit 2 GB für 3 Monate in einem Elektronikshop gefunden (ein neues Angebot?) und zum Preis von Fr. 30.- erstehen können. Falls also die Welt untergehen sollte, bekommen wir das auch im Zelt mit.

Mit der Kleinstadt Köchi erreichen wir wieder den Pazifischen Ozean. Faszinierend schön das tiefblaue, wunderbar klare Wasser, das sich in weiten Wellen der Küste nähert und in  hohen, weissen Fontänen an den Klippen bricht. Fast endlos weite 17'500 Kilometer Ozean trennen uns hier von Südamerika.

Wir nehmen die Küstenstrasse nach Süden, was nicht heisst, dass das Meer immer in der Nähe bleibt. Nur wenige Abschnitte sind flach. Ein stetiges Auf und Ab; wir fahren immer wieder mal durch Tunnels und über kleine Pässe, manchmal, bei böigem Gegenwind, ist es nur ein Kriechen. Vor Shimanto lernen wir das andere Japan kennen. Bereits in der Nacht prasselt Regen auf unser Zelt. Nach einigem Hin und Her überreden wir uns zum Weiterfahren, verpacken das triefende Zelt (Pit meint, es sei jetzt doppelt so schwer) und pedalen in den grauen Pissetag. Himmel nochmal, wo kommt das ganze Wasser her? Nach 70 Kilometern sind wir ausgelaugt, die Hände runzelig wie bei Hundertjährigen. Was der heftig böige Regen nicht geschafft hat, macht fliessender Schweiss komplett. Wir sind durch und durch nass. So ein Scheisswetter hatten wir verwöhnte Schönwetter-Radler über viele Monate nicht mehr. Ja, heute muss ein Hotelzimmer her!    

Morgentoilette beim Zelten.
Morgentoilette beim Zelten.

Wie hier in Shimano-Landen Velo gefahren wird, ist zum Schiessen. Nur Rennvelofahrer scheinen den grossen Bügel am Rahmen, dort wo das Sattelrohr eingefügt wird und mit dem das Sitzleder in der Höhe verstellt wird, zu kennen. Alle anderen brechen sich beim mühsamen Treten mit angewinkelten Knien fast die Beine ab. Uns schmerzen die Gelenke nur schon beim Zusehen! Aber warum bequem Treten wenn es mühsam auch geht?

 

Wie in der Schweiz, ist dem Frühling auch in Japan nicht zu trauen. Nach einem wunderschönen, warmen Velotag wechselt der Himmel von blau zu grau-schwarz und gerade als das Zelt in einem Schulhaus-Hinterhof steht – ein schlauerer Platz liess sich heute beim besten Willen nicht finden – öffnen sich die Schleusen. Wieder mal Regen zum Abendessen, super. Ich werde Bea demnächst als Wetterfee beim japanischen Fernsehen vorschlagen, so präzise wie sie seit Tagen voraussagt, wann’s wieder pisst. Am Morgen raus aus dem feuchten Schlafsack und rein in die feuchten Kleider, es ist eine Freude. Wenigstens bleibt der grosse Regen tagsüber lange aus und das Fahren an der Pazifikküste ist ein Genuss, trotz heftigen Seitwärsböen. Nicht ganz ungefährlich, bei den schmalen Strassen. Nur damit wir nicht übermütig werden und der Rhythmus passt, giesst es am späteren Nachmittag erneut wie aus Kübeln. Und weil das Wetter es so gut meint und Regen zum Veloreparieren prima passt, reisst bei Bea das zweite Mal die Kette. Vermutlich ist auch das Tretlager im Eimer, was den Riss ausgelöst haben könnte. Wir hoffen in ein paar Tagen in Hiroshima eine Werkstatt zu finden.

 

Hiroshima, wo am 6. August 1945 die Welt unter ging

Die Stadt (1,2 Mio. Einwohner) im Südwesten Japans erlangte traurige Berühmtheit durch den ersten kriegsmässigen Einsatz einer Atombombe durch die Amerikaner Anfang August 1945. Ein Besuch des Museums und der Parkanlage mitten in der Stadt, wo damals in 600 Meter Höhe „Little Boy“ explodierte, beeindruckt tief und lässt noch 70 Jahre später schaudern, was Menschen ihren Artgenossen angetan haben. Mindestens 250'000 Opfer hat die Katastrophe gefordert. In der modernen City mit ihren vielen Einkaufsmöglichkeiten erinnert nichts mehr an den grauenvollen 6. August 1945.

Zum Glück ist das Tretlager von Beas Velo nicht kaputt. Offenbar verursacht die neue Kette auf dem alten Ritzel das knarrenden Geräusch, das beim Fahren seit dem Kettenwechsel nervt. Eigentlich müsste das Ritzel ebenfalls gewechselt werden (wir lassen es sein und behalten die Reserveteile für später auf, weil Ritzel für Rohloff-Nabenschaltungen nicht überall erhältlich sind). Nach dem Austausch des Kettenblattes ist das Knarren wesentlich weniger geworden. Also, auf nach Izumo an der nördlichen Küste der japanischen Hauptinsel Honshū!

Auf Shikoku, der kleinsten der japanischen Hauptinseln.
Auf Shikoku, der kleinsten der japanischen Hauptinseln.

Nippon – Velofahren im Land der aufgehenden Sonne

Wir treten tatsächlich in Japan in die Pedalen; davon hätten wir vor Jahren nicht zu träumen gewagt. Sieben Flugstunden sind es von Hanoi über Bangkok nach Osaka an der Ostküste, vergleichsweise ein kurze Reise. Wer könnte da nicht schwach werden und das Abenteuer „Nippon“ wagen?

Ohne den Tag vor dem Abend zu loben – wir sind erst eine Woche im viertgrössten Inselstaat mit seinen 6852 Eilanden unterwegs – aber uns hat das ostasiatische Land im Pazifik gleich von Anfang an überwältigt. Ja, wir sind begeistert; und es könnte durchaus sein, dass wir länger im Land der aufgehenden Sonne bleiben.

Gut zwei Stunden dauert das teilweise Demontieren und Verpacken der Velos in flugtaugliche Kartonschachteln in einem Veloladen in Hanoi. Puuhhh, hoffentlich schaffen wir das Zusammensetzen ohne professionelle Hilfe (es klappt dann tatsächlich, keine Schraube bleibt übrig, nimmt aber fast den ganzen Dienstagmorgen in einer ruhigen Ecke ausserhalb des Flughafens von Osaka in Anspruch). Wir gehören zu den letzten Fluggästen die gegen Mitternacht die wohl schwersten Gepäckstücke vom Förderband zerren. Alles ist heil angekommen. AirAsia bietet den Topservice, Gepäck in Abstufungen bis 40 Kilogramm und Sportgeräte, als die unsere Velos gelten, bis 30 Kilogramm online zu buchen. Hohe Kosten wegen Übergepäck brauchen uns darum nicht zu schrecken.

Bis in die frühen Morgenstunden versuchen wir auf den nicht sehr bequemen Stuhlreihen zu schlafen oder wenigstens zu dösen. Der Kansai International Airport liegt auf einer künstlichen Insel, fünf Kilometer vor dem Festland. Das Befahren der Brücke mit dem Velo ist nicht erlaubt, die Eisenbahn will uns auch nicht mitnehmen (die Räder müssten wieder in eine Kiste, jetzt wo wir sie endlich zusammengebaut haben!), bleibt also nur ein Minibustaxi, das stolze 3880 Yen, also ca. Fr. 25.- für die fünf Kilometer kostet und bestätigt, Japan ist kein Billigreiseland.

Nach einer kurzweiligen Fahrt der Küste entlang auf schmalen, ja teilweise sehr engen Strassen, bietet uns ein japanisches Ehepaar spontan ihr kleines Nebengebäude zum Übernachten an. Wir können unser Glück kaum fassen, als uns die Hausherrin noch ein traditionelles Bad einlaufen lässt. Japan, so gefällst du uns!

Die Strassen sind im Land allgemein schmal, dafür gibt es viele gut markierte Radwege und -streifen. Auto wird sehr rücksichtsvoll und gemässigt im Tempo gefahren. Überholt wird selten und Hupen ist hier ein Unding, das man einfach nicht macht. Welch eine Erholung für unsere Ohren nach Vietnam und China!

Bedingt durch die schmalen Strassen fahren die Japaner vor allem Kleinwagen eigener Marken. Neben den rollenden Schuhschachteln kommen wir uns kein bisschen deplatziert vor. Nie vorher waren wir in einem Land, in dem so höflich-zurückhaltend miteinander umgegangen wird. Die Verkäuferin im Supermarkt an der Kasse verbeugt sich vor den Kunden ebenso wie die Angestellte, die Regale auffüllt und damit dankt, dass ihr mit dem Palettenroller Platz gemacht wird. Der Rayonleiter verbeugt sich mit einem Abschiedsdank beim Ausgang, bevor er seinen Feierabend geniesst. Eine neue Welt für uns, faszinierend, speziell, so ganz anders, als in den vergangenen Monaten.

Die Autofähre bringt uns in zwei Stunden von Wakayama nach Tokushima auf Shikoku, der kleinsten der Hauptinseln Japans. Am Ticketschalter liegen Brillen verschiedenster Sehstärken für die Reisenden auf. Niemand braucht seine vergessenen Augengläser im Auto holen.

Die Insel Shikoku ist, wie Japan allgemein, recht gebirgig und sehr grün. 66% des Inselstaates besteht aus Wald. In den ersten Tagen auf dem Velo kommen viele Höhenmeter zusammen, besonders im malerischen Iyatal. Wir geniessen das Velofahren und das Zelten sehr.