Rückblick auf vier erlebnisreiche Reisejahre

Vier Jahre auf Tour – Zeit für einen Rückblick, eine Zwischenbilanz, eine Auslegeordnung. Unsere Köpfe werden langsam frei vom Erlebten der letzten Monate; wunderbare Erinnerungen der vergangenen Jahre nehmen nach und nach den Platz ein. Irgendwann wollen wir bei einem guten Tropfen in unsere Homepage eintauchen und Begegnungen, schöne Strecken, Missgeschicke, kalte Nächte, regnerische Tage und kulinarische Höhenflüge nochmals am Bildschirm erleben. Vieles scheint uns schon so weit weg . . .

Wir geniessen das Wohnen in festen Wänden. Nicht jeden Tag packen, Stunden mit unseren Liebsten verbringen, Regen zu Hause auf dem Sofa aussitzen, lange Spaziergänge und Besuche bei lieben Freunden und Bekannten, Wanderungen in den Bergen, Auto fahren und Einkaufen in grossen Supermärkten mit riesigem Angebot, eine richtige Küche zur Verfügung haben und mit mehr als nur zwei Kochtöpfen experimentieren, ja sogar backen dürfen – langsam stellt sich so etwas wie angenehmer Wohlfühlalltag ein.

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön allen, die uns aufmunternde Mails und Grüsse schicken. Ob regelmässig oder nur alle paar Monate; wir freuen uns wirklich über jede Zeile. Merci viu mau!

 

Wie geht es uns? Hat sich die Ausrüstung bewährt und wo muss Ersatz her? Auf was können, wollen, müssen wir in Zukunft verzichten?

Inzwischen ist die Checkliste auf die Grösse der alten vor vier Jahren angewachsen, die Velos sind (endlich) geputzt und beim Hersteller für einen umfassenden Service abgestellt . . . und ja, der böse Zahn von Pit hat nach Wochen mit einigen Störmanövern eine Wurzelbehandlung bekommen. Gesundheitlich haben wir in all den Jahren grosses Glück gehabt. Ausser drei Stürzen (Bea), die glimpflich abliefen und Magenproblemen in Usbekistan und China, hatten wir keine nennenswerten Probleme, im Gegenteil, es geht uns bestens, auch mental. Von Reisemüdigkeit keine Spur.

 

Gelitten hat das Material in den vier Jahren, ganz ohne Frage. Die Velos bekommen hinten nun neue Räder (zur Sicherheit, nach fast 50'000 km), neue Kabelzüge und Gepäckträger (nach diversen Brüchen), Bea’s Rad endlich einen neuen Ständer und Pit’s den lange vermissten, ledernen Sattel. Beim alten ist die Oese für die Spannschraube gebrochen. Einige Male hätten wir am Berg für kleinere Gänge unser letztes Hemd gegeben, darum werden beim Service kleinere Kettenblätter und andere Ritzel montiert. Ansonsten haben unsere Lastesel von Aarios alles eingesteckt, was wir ihnen zugemutet haben. Wechseln werden wir unser Zelt, nicht nur weil der Mond durch die Löcher scheint und die Reissverschlüsse kaputt sind, sondern auch, weil wir in Zukunft in einem freistehenden Kuppelzelt schlummern wollen. Mit unserem Tunnelzelt, das zwingend mit Heringen abgespannt werden muss, gab es wegen schwierigem Untergrund öfter Probleme. Super bewährt hat sich die Küche, besonders der Benzinkocher von Primus hat uns schmackhafte, heisse Menus gezaubert (dank peniblem Unterhalt von Pit, wie er meint). Benzin ist im Gegensatz zu Gas überall auf der Welt günstig zu bekommen, wie Langzeitradler wissen. Wechseln werden wir den Wassersack, weil sich unser Modell zum Reinigen und Trocknen nicht komplett öffnen lässt (ein Rollverschluss schafft Abhilfe). An vielen Stellen aufgerissen sind dafür die Nähte der Packsäcke, nach vielen Reparaturen und verklebten Fingern müssen dringend neue her. Wenig Liegevergnügen gab es während der letzten Monate mit unseren aufblasbaren, mit Daunen gefüllten Schlafmatten. Irgendwann haben sich klammheimlich Zwischenstege der Luftkammern in der Mitte der Matten gelöst; wir liegen so, als wären wir im 9. Monat schwanger oder hätten einen Bauchumfang von mindestens 120 cm. Einfach saumässig „bequem“! Zudem lässt sich unsere Route anhand der vielen Daunen, die Bea’s Bett überall hinterlassen hat, genau nachverfolgen. Jeden Morgen das verstopfte Ventil freizupfen und Frau Holle spielen . . . es sieht danach so aus, als hätte die Zeltplatzkatze eine weisse Taube gefressen. Besser rasch aus dem Staub machen.

An etwas führt in Zukunft aber kein Weg vorbei: Für die weitere Reise müssen wir einige Kilos abspecken, körperlich werden die Bergetappen für eine schlanke Linie sorgen, aber bei der Ausrüstung, da liegt unser Hund begraben. Mit je gut 30 kg ist absolut kein Staat zu machen. Irgendwie müssen wir das hinkriegen. Mal sehen, ob wir uns gegenseitig heimlich überflüssige Kilos zuschieben können.

Weiterhin verzichten wollen wir auf Sponsoren; Unabhängigkeit ist uns sehr wichtig.

 

Im Januar 2017 steigen wir erneut in die Sättel. Die nächste Etappe unserer Reise ist in Vorbereitung, erste Buchungen sind gemacht. Ein neuer Kontinent wird uns in vielerlei Hinsicht fordern. Einfache, unbefestigte Strassen und viele, viele Höhenmeter warten. Leider hat unsere Kondition schon mächtig gelitten, wir werden gewaltig zu beissen haben, trotzdem freuen wir uns sehr. Etwas Erfahrung bringen wir ja mit und Zeit nehmen wir uns sowieso. Mehr dann im Januar 2017!


Vor Immenstadt treffen wir Susanne aus dem Berner Seeland.
Vor Immenstadt treffen wir Susanne aus dem Berner Seeland.
Unterwegs auf dem Illerradweg.
Unterwegs auf dem Illerradweg.

Regen und Schweiss auf dem Weg ans Schwäbische Meer

Wochen mit süssem Nichtstun, bodenständigen Festen, kleinen Wanderungen, Grillabenden, interessanten Gesprächen bei Verwandten und Freunden und der Besuch bei der 99jährigen Grosstante liegen hinter uns; die Hosen fangen bereits an zu spannen, selbst die Lust auf bayerisches Bier ist kleiner geworden. Zeit, weiter zu ziehen.

218 teilweise fordernde Fahrradkilometer sind auf dem Königssee-Bodensee-Radweg von Lindau bis zum königlichen See in Berchtesgaden, im Südosten Deutschlands, nahe Salzburg, zu meistern (www.bodensee-koenigssee-radweg.de). Die Homepage bestimmt Lindau zum Startpunkt; wir pedalen in die andere Richtung, was aber nicht heisst, dass es sich gemütlich bergab rollen lässt, ganz im Gegenteil, einige Steigungen geben arg zu beissen. Immerhin dürfen wir uns erst in Hausham nahe Miesbach einklinken, lassen also den steilsten Schlussabschnitt links liegen.

Auf dem Radweg sind erstaunlich viele Radfahrer, vor allem ältere Semester, unterwegs; die meisten kommen uns entgegen, wohl drei Viertel auf Elektrofahrrädern. Irgendwie passen wir Paradiesvögel mit all dem Puff schlecht ins oberbayerische Fahrradbild, so als hätten wir uns in die Voralpen verfahren und irrtümlich den Mountainbikern vorbehaltene Waldwege erwischt. Vor Füssen führt der Weg durch einen Bach, na also, passt!

Auf dem überwiegenden Teil des Radwegs bis Immenstadt lässt sich die Natur ausgiebig geniessen; Wiesen, Moore, Seen, Dörfer und Weiler, längere Abschnitte durch Wald, beständig auf und ab und immer wieder tolle Ausblicke, fast eine heile Welt, hier im Allgäu. Für Momente sind die Terrorattacken in München, Ansbach und Würzburg vergessen.

Manchmal geht es recht holprig vorwärts und zeitweise versteckt sich die Radwegbeschilderung im Gebüsch und hinter Verkehrsschildern oder fehlt ganz. Suchen stinkt uns, erst recht, weil alle Radwege in Europa irgendwo auf dem Internet als Track zum Herunterladen gespeichert sind.

„Hallo, Moment mal . . .“, eine blonde Radfahrerin in leuchtendem Rot steigt vom Fahrrad. „Bist du Susanne?“ fragt Bea aufgeregt. Tatsächlich, nicht weit vor Immenstadt treffen wir tatsächlich Susanne aus dem Berner Seeland, mit der wir schon lange korrespondieren und die auf dem Weg nach Salzburg ist. Gehofft hatten wir, dass wir uns treffen, trotzdem ist die unverhoffte Freude gross und weil es wieder mal giesst, kommt die Plauderstunde unter schützendem Dach gerade recht. Bestimmt sehen wir uns im Herbst in der Schweiz, zu erzählen gibt es viel. Gute Reise und toi, toi, toi, Susanne!

Zelten bei den Ulmer Paddlern in Neu-Ulm, direkt an der Donau.
Zelten bei den Ulmer Paddlern in Neu-Ulm, direkt an der Donau.

Auf Trab hält uns mit unschöner Regelmässigkeit das „Sommerwetter“. Freundlicher Himmel tagsüber, abends und nachts Gewitter und Regen. Wie oft haben wir in den letzten Tagen Zelt und uns wohl getrocknet? Es ist eine Freude. Die schwülwarme, feuchte Luft treibt den Schweiss schon bei kleinsten Aufstiegen aus allen Poren, unangenehm kühl sind anschliessenden die Abfahrten. Pit hat sich prompt erkältet und heftige  Rückenschmerzen in der Nierengegend eingehandelt. Schmieren, salben und ein paar Tabletten helfen allenthalben; bei Bea’s guter Pflege sowieso. Morgen geht’s weiter, dem Bodensee zu.

 

Das war bis gestern der Plan. Trotzdem, wir wollen uns nicht drängen lassen und mitten in der Sommerferienzeit in der Schweiz eintrudeln. Anstatt die Tage in irgendeiner Stadt zu verplempern könnten wir doch noch einen Abstecher machen, z.B. auf dem Illerradweg nach Ulm bummeln und anschliessend über das hügelige, ländliche Allgäu den Bodensee anpeilen? Ein paar zusätzliche Velokilometer passen allemal ins Logbuch und gefahren sind wir eh nicht so viel in den letzten Wochen. Also los!

Die Ostvariante des Donau-Bodenseeradwegs hat uns sehr gefallen.
Die Ostvariante des Donau-Bodenseeradwegs hat uns sehr gefallen.

Abstecher nach Ulm, oder das schwierige Suchen nach Zeltplätzen

Der Illerradweg haut uns nicht aus den Socken. Wie bei etlichen  Flussradwegen vorher wird das Pedalen für uns schnell mal eintönig; lange Geraden durch Wald, kaum Steigungen und natürlich viel Zweiradverkehr, alles wie gehabt. Zum Glück dürfen Radfahrer in Neu-Ulm auf dem Gelände der Ulmer Paddler direkt an der Donau die Zelte aufschlagen. In Stadtnähe gibt es tatsächlich keinen Zeltplatz. Wir bleiben drei Nächte auf dem kleinen Platz mit Küche und modernen Sanitäranlagen. In den letzten Tagen hat Bea offenbar etwas Schlechtes gegessen und leidet unter heftigen Magenschmerzen und akutem Durchfall; durch die Stadt schlendern geht nicht, besser nicht zu weit von der Toilette entfernen und viel schlafen. C’est la vie . . .

 

Eine Entdeckung ist der Donau-Bodensee-Radweg (Variante Ost) von Ulm nach Kressbronn am Bodensee. Landschaftlich abwechslungsreich, sucht sich der Radweg kleine und kleinste Strassen und Wege durch verschlafene Dörfer und abgelegene Weiler, quert weite Obsthaine und Hopfengärten, rauf und runter geht es sowieso. Bea kann wieder normal essen und kommt langsam zu Kräften, so geniessen wir das ruhige Treten unter warmer Sonne – Radfahrer begegnen uns selten - und freuen uns auf den Besuch bei unseren Freunden in Langenargen. Weniger easy ist das Suchen nach Campingplätzen, es gibt nur sehr wenige in Routennähe und wer nicht auf das Internet zugreifen kann, hat schlechte Karten. Von Biberach an der Riss bis Steinhausen bedeutet das z.B. zusätzliche 15 Velokilometer Umwege fahren.

 

Deutschland war für uns kein tolles Campingland. Die wenigen Zeltplätze an unserer Strecke waren meist minimal ausgestattet, oft nicht einladend, einige absolut trist, so dass wir lieber weiter gefahren wären, wenn es Alternativen gegeben hätte. Als einsamer Velöler mit Zelt kommt man sich zwischen den vielen unbewohnten Wohnwagen in den weitläufigen Campingstädten vor, als lebte man als letzter Mensch einer untergehenden Kultur in Mitteleuropa im Jahre 5016. Wie schön war dagegen das Zelten in Neuseeland und Australien.

Nach drei entspannten Pausentagen bei unseren lieben Freunden Gisela und Sigi – herzlichen Dank, wir haben es sehr genossen! - nehmen wir die abschliessenden Fahrtage in die Schweiz unter die Räder. In Waldshut biegen wir vom Rhein auf den abwechslungsreichen Aareradweg ein und fahren nun definitiv auf Schweizer Boden Bern zu.

Nach einem gemütlichen Pausentag bei Lydia und Louis in Olten werden wir mit einem grossen Willkommensplakat und inniger Umarmung in Orpund b. Biel freudig empfangen. Dora und René verwöhnen uns sehr und wir geniessen das in vollen Zügen!

Nicht minder herzlich heissen uns Elsbeth und Erich (wurde 75), Radbegeisterte wie wir, in Aarberg willkommen. Es gibt so viel zu erzählen, ein Abend reicht bei weitem nicht aus. Wir sehen uns bald wieder!

Bis nach Bern ist es noch ein Katzensprung. Wir haben unsere Lieben vermisst. Nun dürfen wir sie endlich wieder in die Arme schliessen. Wunderschön!

Eine lange Tour - zwei Jahre und vier Monate an einem Stück - ist mit vielen, vielen Eindrücken, Erlebnissen und interessanten Begegnungen zu Ende gegangen. Vor fast vier Jahren haben wir die Fahrräder gesattelt und sind nahezug 44'000 Kilometer gestrampelt - selbst für uns schwer fassbar. Zeit für eine Pause.

 

Aber die Reise geht in ein paar Monaten weiter, das steht fest!

Unterwegs in der Oberpfalz.
Unterwegs in der Oberpfalz.
Wer könnte da widerstehen?
Wer könnte da widerstehen?

Thüringen

Bisher kennen wir das Bundesland Thüringen nur auf dem Teller und im Glas. Rostbratwürste, Teewurst, Klösse, Köstritzer Schwarzbier, Grabower Schokoküsse, das sind nur die bekanntesten Leckereien aus dem Freistaat in der Mitte Deutschlands. Es gibt da auch den Thüringer Wald mit dem bekannten Rennsteig (toller Wander- und Radweg, aber anstrengend) und das Schiefergebirge, in das wir uns ab Saalfeld langsam hocharbeiten. Bei Steigungen von 12% geht nichts mehr, mehrmals heisst es schieben und Bea ist sicher, dass Pit mit seiner Liebe zu den Bergen wieder mal übertreibt. Die Saale gurgelt meist irgendwo abseits durch Wald und Schluchten (von wegen Saaleradweg, mault meine liebe Frau), wir kommen bei dem ewigen Auf und Ab auf teilweise matschigen, schlechten Wegen kaum vom Fleck. Bis zum Hohenwarte-Stausee reicht der Mumm, dann ist Schluss mit Lustig.

Nach einer ruhigen Nacht auf dem kleinen Zeltplatz bei der Lotharmühle – wir sind wieder mal die einzigen Gäste im Zelt – rollen wir anderntags zurück nach Kaulsdorf und nehmen den Zug nach Bamberg. Das war jedenfalls der Plan. Erst nach dem Kauf der Tickets am Automaten sehen wir den Anschlag am Bahnsteig: Der Zug fährt wegen Geleisebauarbeiten nur bis Lichtenfels, dann heisst es umsteigen auf den Bus. Wir mit unseren bepackten Rädern können das vergessen. Ist uns heute schnurz; auf dem Mainradweg lässt sich gemütlich bis Bamberg pedalen und selbst der „Kommentar“ eines Seniors, mit Blick auf unser umfangreiches Bagage, der mit seinen Radlerfreunden elektrifiziert (auf dem E-Bike) und mit leichtem Gepäck locker an uns vorbeirauscht („Das sind doch alles Angeber!“), lässt kein schlechtes Gewissen aufkommen. Wir sind müde („War ich schon auf der Toilette?“ „Ich bin deine Blase, nein, du warst noch nicht pinkeln“. Wortspiele zwischen uns. Manchmal weiss der Kopf nicht, was der Körper will). Zwei Jahre ohne grössere Pause im Sattel (ab Ankara in der Türkei) haben Spuren hinterlassen.

Freistaat Bayern

Wir fahren im Freistaat Bayern. Die Oberpfalz gefällt durch tolle Radwege – wir bummeln ein Stück auf dem 5-Flüsse-Radweg von Bamberg nach Regensburg - gepflegte Dörfer, süffige lokale Biere. Welch ein Gegensatz zu Thüringen, vor allem in baulicher Hinsicht, Tage vorher.

Die Städtchen Zeitz und Khala seien zu DDR-Zeiten viel schöner gewesen, als sie heute sind, versicherte uns eine Frau im Supermarkt. Da hatte sie bestimmt recht. Verfallene Häuser und Fabriken, notdürftig abgestützte Gebäude mit verwilderten Gärten, miese Strassen, viel Grau und Braun. Wir fuhren gleich weiter, hatten keine Lust hier eine Unterkunft zu suchen. Viele Familien sind nach der Wende in den Westen gezogen, in der Hoffnung auf besseren Verdienst, angelockt von der glänzenden Konsumwelt. Derweil sind etliche Spekulanten aus den alten Bundesländern auf die Nase gefallen; das grosse Geschäft mit Liegenschaften haben im Osten nur wenige gemacht.

Die Stadtbrille (Bogenbrücke mit Wasserspiegelung), Wahrzeichen von Amberg.
Die Stadtbrille (Bogenbrücke mit Wasserspiegelung), Wahrzeichen von Amberg.

Die vielen gefahrenen Kilometer auf unbefestigten Wegen hinterlassen vor allem an den Reifen Spuren. Das Profil hat sich verabschiedet, überall tiefe Risse, Schnitte, eingefahrene Steine. An einem Tag repariert Pit zwei „Patschen“, wie unsere österreichischen Freunde einen Platten so treffend nennen, an seinem Hinterrad. Zeit, den Reservereifen aufzuziehen. Einen haben wir noch. Bea’s Gepäckträger ist erneut gebrochen, Pit seiner hält noch so lala.

 

Ab Regensburg geht’s weiter auf dem Donauradweg bis Deggendorf, dann der Isar entlang bis in die bayerische Hauptstadt München. Radreisende sind nicht viele unterwegs, darum geniessen wir das Zusammentreffen mit Tina und Benjamin und ihren Kindern Oskar (12), Arthur (10) und Theodor (1), die mit Sack und Pack, Zelt und Anhängern von Dresden nach Innsbruck in Österreich fahren. Keiner zu klein für eine Radtour – toll, wie ihr das schafft! Viel Spass auf den restlichen Etappen!

Der erwähnte Donauabschnitt bietet wenig Abwechslung und die Isar versteckt sich über längere Strecken hinter einem Damm. Wenigstens kommen wir flott vorwärts, trotz einiger Regengüsse und entsprechend matschigen Abschnitten durch Wald. Unsere Räder und wir sehen aus – puuhh. Vielleicht sollten wir samt Velos bei nächster Gelegenheit in der Isar baden.

Auf unserer Route gibt es überraschend wenige Zeltplätze, und die, die es gibt, machen oft einen wenig einladenden Eindruck. Ein Meer von Dauerkämpern, viele der Wohnwagen seit Monaten nicht mehr benützt, herumliegender Gerümpel. Irgendwo am Trockenen sitzen oder gar eine Campküche zur Verfügung haben? Vergiss es. Wie waren wir in Neuseeland und vor allem in Australien verwöhnt!

Überhaupt scheinen Radfahrer mit Zelt in Deutschland aus dem Stichwortverzeichnis gestrichen. Ja, es gibt schöne, grosse, moderne Infotafeln mit Beschrieb der Strecke, Landkartenausschnitten, Sehenswürdigkeiten, Hotels und Pensionen am Radweg. Hinweise auf Zeltplätze? – Fehlanzeige. Die paar strampelnden Vögel mit Zelt fallen unter den Tourismustisch.

 

München heisst nun erst mal für uns Pause machen, Verwandte und Freunde besuchen. In etwa zwei Wochen wollen wir bei Schliersee auf den Königssee-Bodensee-Radweg Richtung Schwäbisches Meer einbiegen. Die Schweiz rückt näher.

Wellenreiten an der Isar in München.
Wellenreiten an der Isar in München.

Mit Kohle-Dampf-Licht nach Süden

Durch Zufall werden wir auf den Radweg „Kohle-Dampf-Licht“ aufmerksam, der von Wittenberg bis nach Leipzig durch die ehemalige Braunkohle-Abbauregion im einst mächtigsten mitteldeutschen Industrierevier führt. Wie auf einer Perlenkette reihen sich Meilensteine der Industriegeschichte an der Erlebnisroute aneinander. Lebendige Industriegeschichte mit dem Höhepunkt „Ferropolis“, einem grossen Freilichtmuseum mit ausgedienten Maschinen und riesigen Löffelbaggern, wird versprochen. Das interessiert uns sehr.

Wir werden nicht enttäuscht. Über Jahre wurden die ausgebaggerten Krater geflutet, die Abraumhalten angepflanzt und tolle Spazier- und Radwege angelegt, entstanden ist ein grosses Naherholungsgebiet.

Wir schwenken auf den Radweg „Thüringische Städtekette“ nach Westen ein um dann wieder auf dem Saaleradweg, weiter den Alpen und München, unserem nächsten Zwischenziel, entgegen zu pedalen. Ab und zu heisst es den Kopf einziehen, drohend und bleischwer liegen schwarze Wolken über dem weiten Land. Trotzdem ist das Glück auf unserer Seite, es gelingt uns die Unwetter zu umfahren und einigermassen trocken zu bleiben.

In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Radwegen.
In Deutschland gibt es eine Vielzahl von Radwegen.
Der grosse Reformator muss für vieles herhalten. Bier, Münzen, Karten, Kleber usw.
Der grosse Reformator muss für vieles herhalten. Bier, Münzen, Karten, Kleber usw.
Quedlinburg in Sachsen-Anhalt, wunderschöne mittelalterliche Stadt.
Quedlinburg in Sachsen-Anhalt, wunderschöne mittelalterliche Stadt.

Weserradweg und weiter auf dem R1 in den Harz

Ab Emmerthal radeln wir, eng an die noch junge Weser geschmiegt, auf schön angelegten Radwegen in grossen Schlaufen nach Süden flussaufwärts. Der Fluss fliesst gemächlich Richtung Nordsee, von grossem Strom kann noch keine Rede sein, obwohl er auf seiner ganzen Länge als Wasserweg bezeichnet wird. Schiffe sind momentan keine unterwegs, Schuld ist vermutlich der hohe Wasserstand wegen der heftigen Gewitter im Einzugsgebiet. Egal, wir geniessen das gemütliche Pedalen, offenbar mehr als viele ältere Semester auf Tour, von denen uns Dutzende entgegen kommen, die ziemlich angestrengt und mit verbissenem Gesicht ihre Elektroräder bearbeiten. Freude am Velofahren sieht anders aus.

Fahren an der Saale.
Fahren an der Saale.

Ab Holzminden wieder auf dem R1, fahren wir weitgehend alleine. Neben einigen Abschnitten auf Strassen windet sich die Route über weite Felder und durch Wälder langsam in die Höhe, der Harz und der Brocken, mit 1140 m ü.M. der höchste Berg Norddeutschlands, sind nicht mehr weit. Viele Ortsnamen in der Gegend enden auf „Bad“, kein Wunder, ist der Untergrund doch vulkanischen Ursprungs, durchzogen von wasserführenden Gesteins- und Salzschichten, die da und dort heilsame Quellen sprudeln lassen.

Seit vielen Jahren reden wir immer wieder von Quedlinburg in Sachsen-Anhalt, der geschichtsträchtigen Kleinstadt, die seit mehr als 1000 Jahren das Stadtrecht besitzt und in der es über 2000 alte Riegelbauten aus 8 Jahrhunderten geben soll. Pit kalkuliert zwei Fahrtage ein, unterschätzt aber die Distanz und vor allen die Steigungen (wieder mal), was uns lange Tage auf dem Velo, müde Beide, schmerzende Hintern und Zeitdruck beschert. Wir haben in Quedlinburg eine Unterkunft im Voraus gebucht, ein Blödsinn, was wir eigentlich wissen sollten. Vor Wernigerode überfahren wir die ehemalige Zonengrenze, die die beiden Deutschland bis im November 1989 trennte. Heute erinnert nur noch eine Tafel an den Eisernen Vorhand, der viele Familien über Jahrzehnte trennte grosses Leid brachte.

Leckerbissen Quedlinburg

Dafür ist die Stadt wirklich sehens- und erlebenswert; wir bleiben gleich drei Tage. Zu DDR-Zeiten verfielen ganze Strassenzüge wegen Geldmangels, viele Häuser wurden abgebrochen, ja die Stadtregierung erwog sogar, einen Grossteil der Innenstadt niederzureissen(!) und an ihrer Stelle die üblichen Plattenbauten und einen grossen Platz anzulegen. Wahnsinn! Zum Glück wurde man sich nicht einig, Geld fehlte sowieso; schlussendlich hat die Wende dem bösen Spuk ein Ende bereitet und uns eine der schönsten mittelalterlichen Städte Deutschlands erhalten.

Flüsse begleiten uns weiterhin, zuerst die Saale und dann die Elbe, bevor wir nach gemütlichem Pedalen die Lutherstadt Wittenberg erreichen. Nach Quedlinburg ist Wittenberg für uns eine eher nüchterne Kleinstadt, vor allem bekannt durch die Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchton und die Renaissance-Malerfamilie-Cranach. Am 31. Oktober 1517 soll Luther seine 97 Thesen an die Türe der Schlosskirche in Wittenberg geschlagen haben. Aus Anlass der grossen Feierlichkeiten zum Lutherjahr 2017 „500 Jahre Reformation“ wird viel renoviert, u.a. kann die Schlosskirche momentan nicht besucht werden. Nach einem Tag ziehen wir weiter, lassen den Rummel und die vielen Touristen hinter uns.

Nordrhein-Westfalen

Deutschland, kein neues Land auf unserer Tour. Schon im September 2013 sind wir von Dänemark kommend ganz im Osten durch Mecklenburg-Vorpommern nach Schlesien in Polen pedalt. Neu ist für uns NRW. Obwohl Radfahren in unserem nördlichen Nachbarland sehr populär ist, sind hier in Nordrhein-Westfalen deutlich weniger Velofahrer unterwegs als in den Niederlanden. Für den Weg nach Osten, quer durch Deutschland, haben wir uns den Europaradweg R1 ausgesucht, der auf 3'800 km von Calais in Frankreich durch neun Länder bis nach St. Petersburg in Russland führt.

Münster, die alte Universitätsstadt, in der neben Osnabrück 1648 der Westfälische Friede nach dem 30jährigen Krieg unterzeichnet wurde, ist im 2. Weltkrieg bei heftigen Luftangriffen der Briten zu zwei Dritteln zerstört, in den 50er Jahren aber grösstenteils nach alten Plänen wieder aufgebaut worden und zieht heute Touristen aus ganz Europa an. So viel Geschichte kommt uns gerade recht, um einen Pausentag einzulegen.

Der R1 schlägt viele Haken, die Qualität der Wege und Strässchen wechselt häufig, mal feiner Teerbelag, dann wieder holprige, matschige Wald- und Kieswege – das Treten ist nie langweilig. Allerdings kommt so mindestens das Eineinhalbfache an Kilometern zusammen, die ein Autofahrer für die Strecke braucht. Egal, wir haben es nicht eilig.

Kurz vor Hameln, der Rattenfängerstadt, liegt Bad Pyrmont; wir haben das Bundesland Niedersachsen erreicht. Die Kurstadt von internationalem Rang, in der Könige, Zaren, Fürsten, Dichter, Denker und reiche Bürger tagsüber heilendes Wasser tranken und ihre Hintern badeten, zum Ausgleich abends dafür rauschende Feste feierten, wird heute vor allem von Senioren bevölkert. Da passen doch zwei nicht mehr ganz junge Velöler aus der Schweiz bestens dazu. Wir wollen eine Woche bleiben, allerdings ohne Bade- und Trinkkur. Bea hat eine super eingerichtete Küche zur Verfügung und Wasser ist sowieso zum Waschen da, oder?