Insel Negros

(8.-19. Januar 2014)

Wir sind wieder unterwegs. Negros (benannt nach den sehr dunkelhäutigen ersten Bewohnern, die heute in abgelegenen Bergregionen wohnen) ist das Ziel, eine grosse bergige Insel mit Vulkanen und unberührtem Regenwald, die mit der Fähre in zwei Stunden zu erreichen ist. Was uns wohl erwartet? Dumaguete, eine mittelgrosse Hafenstadt ganz im Süden, sauber, mit vielen Restaurants an der belebten Küstenstrasse, gefällt uns auf Anhieb.

Markant der Unterschied zu Dagbilaran auf Bohol, das uns im Vergleich schmutziger und ärmlicher vorkommt. Sogar die Tricycles sind hier breiter und bequemer. Knapp 20 km entfernt, in den Bergen, liegen die Twin Lakes, zwei Seen vulkanischen Ursprungs die wir besuchen wollen. Nach dem Jeepney steigen wir auf zwei Motorräder für die steilen letzten 14 km um. Die beiden Fahrer brausen los, wir auf dem Sozius. Nur schon die Fahrt ist ein Abenteuer. Die Strasse windet sich in vielen Kurven durch den Regenwald, vorbei an kleinen Feldern, ab und zu stehen ein paar Hütten und Kühe an der Strasse, Hände winken. Mal kriechen wir im kleinsten Gang, grosse Steigungen nur knapp schaffend, hoch, dann geht’s auf dem schmalen Strässchen rasant steil abwärts. Die bewaldeten Berge rücken näher. Nur gut hinten am Sattel festhalten, mal ziehen, mal stemmen. Die Finger verkrampfen, die Arme schmerzen. Wir holpern kurze Abschnitte über Geröll und durch grosse Pfützen und halten endlich beim Eingang zum Park. Den letzten Kilometer wollen wir zu Fuss gehen um Vegetation und Gegend zu geniessen - unsere Fahrer lachen und schütteln den Kopf. Wieso laufen, wenn man fahren kann? Alle hundert Meter halten sie auf der steilen Strasse an und schauen, ob wir folgen. Dann geben sie grinsend Gas und schütteln den Kopf. Manche Europäer sind offenbar nicht richtig im Kopf. Die Seen sind schön, zu Fuss geht’s aber nur bis ans Ufer zum Bootsanleger. Der Himmel hängt tief und grau, gibt es bald Regen? Wir fackeln nicht lange, schwingen uns auf die Motorräder und ab geht’s Richtung Küste. Nach ein paar Kilometern zwingt ein Plattfuss Pit zum Umsteigen auf das andere Motorrad. Zu Dritt ist der Platz mehr als eng, aber wir erreichen unser Jeepney ohne weitere Zwischenfälle.

Fisch trocknen an der Sonne (wenn sie mal wieder scheint . . .).
Fisch trocknen an der Sonne (wenn sie mal wieder scheint . . .).

Reis, Zuckerrohr und eine Handvoll Scherben

Die Reise mit dem Bus (ohne Klimaanlage, die Tachos funktionierenden in den Bussen ohnehin nie) auf der kurvenreichen Küstenstrasse nach Bayawan ist landschaftlich sehr schön. Gewöhnungsbedürftig ist der Fahrstiel und das Tempo. Ein Bus ohne Hupe wäre schlichtweg strassenuntauglich. Zur Sicherheit wird vor dem Überholen kurz giftig die Hupe betätigt. Selbst Hunde sind gewarnt, rasch ihren Schlafplatz auf der Strasse zu verlassen. Freilaufende Hunde gibt es viele. Sie sind nicht agressiv und werden von den Einheimischen kaum beachtet. Höchstens wenn einer für den Kochtopf bestimmt ist, was durchaus üblich sein soll. Im Übrigen staunen wir einmal mehr, wie faul die Philippinos sind, wenn es ums Einsteigen in den Bus geht. Offizielle Haltestellen gibt es sehr wenige, wer mit will gibt Handzeichen. Es kommt durchaus vor, dass der Chauffeur nach zwanzig Metern schon wieder einen Fahrgast aufnimmt; das kann sich problemlos ein paar Mal wiederholen. Niemandem würde es einfallen, ein paar Meter zu laufen und den Busfahrern ist das schlicht egal. Sie drücken dann eben etwas mehr aufs Gaspedal.

Bayawan ist ohne Charme, die Strandbeizen sind geschlossen, Touristen gibt es hier keine. Auf der Fahrt nach Sipalay säumen viele grosse und kleine Reisfelder die schmale Strasse. Immer wieder prasselt Regen an die Scheiben, der Himmel ist grau, keine Sonne weit und breit. Das wird so eine ganze Woche bleiben. Lieber im Bus als auf dem Roller unterwegs sein. Plötzlich ein dumpfer Knall, Scherben fliegen durch den Bus. Verdattert hält der Fahrer nur noch eine Handvoll Seitenfenster in der Hand. Beim Verschieben in voller Fahrt ist die Scheibe in tausend Stücke zerbrochen. Ein paar Kilometer weiter knallt es erneut. Diesmal hat sich die andere Hälfte des Fensters, eine Plexiglasscheibe, davon gemacht. Zum Glück nach draussen und niemand wurde getroffen. Hoffentlich hält das Steuerrad . . .

Das Tauchresort in Sipalay (unter Schweizer Führung) ist traumhaft gelegen, nicht gross, mit einzelnen Bungalows im Wald, das Restaurant direkt am Meer. Wir wagen die Ausnahme und sind gespannt, ob es uns hier gefallen wird. Schade regnet es fast ununterbrochen. Baden fällt so buchstäblich ins Wasser. Freies Internet gibt’s leider nur für fünf Stunden, nur für ein Gerät und nur im Bereich des Restaurants. Das erinnert uns an die Schweiz und Norwegen. Bünzlig. Wir lesen viel, geniessen das Meer und delikate Nachtessen an den zwei Tagen.

Die 150 km in die Hauptstadt von Negros, Bacolod (ca. 500`000 Einw.), beginnt regnerisch. Die Reisfelder werden weniger, dafür fahren wir durch grosse Zuckerrohrplantagen; die Ernte ist in vollem Gange. Seit Tagen begegnen wir grossen Lastwagen, kunstvoll und hoch beladen mit den Halmen des Süssgrases. Die Philippinen gehören zu den zehn wichtigsten Rohrzuckerproduzenten weltweit, Negros steuert fast die Hälfte zur Landesproduktion bei. Es muss eine knüppelharte Arbeit sein, die Rohre mit der Machete zu hauen, zuzurüsten und auf die Lastwagen zu verladen. Alles von Hand. Das Pflügen besorgen Wasserbüffel, die den einscharigen Pflug bedächtig über die steinigen Felder ziehen. In Bacolod finden wir endlich nach zwei Stunden unser Hotel. Dummerweise haben wir am Morgen den Hotelnamen nicht notiert und Zugang zum Internet ist erst nach langem Suchen im McDonalds möglich. Wer keinen Kopf hat, hat Beine.

Wasserbüffel sehen wir viele, auf der Strasse eher selten.
Wasserbüffel sehen wir viele, auf der Strasse eher selten.

Fliegende Hunde und Wasser überall

Auf dem Weg nach San Carlos auf der anderen Seite der Insel, bleiben wir eine Nacht in einem vielversprechenden Resort in den Bergen. Das einzig wirklich Tolle ist die kleine Wanderung entlang einem wilden Bachlauf im dichten Regenwald mit hohen Baumriesen, Lianen und Farnen. Nebel zieht durch die Blätterkronen und der dampfende Wald – es regnet mal wieder – wirkt mystisch, mit dem tosenden Bach fast unheimlich. Unvermittelt bleiben wir stehen. Über uns segeln Dutzende grosse Flughunde und stossen dabei Schreie aus. Die fledermausähnlichen Tiere, vermutlich handelt es sich um Goldkronen-Flughunde, erreichen eine Flügelspannweite bis 170 cm und gelten als gefährdet. Käme jetzt gleich ein Saurier um die Ecke, es würde uns nicht wundern. Beim Einzug in unseren Bungalow landen wir wieder im Hier und Jetzt. Die Bettbezüge sind, na ja, nicht ganz wie gewohnt. Wir nehmen die Seidenschlafsäcke aus dem Rucksack. Die Dusche hat kein Wasser, dafür muss beim WC der Spülkastendeckel zum Spülen angehoben werden, was eine mittlere Überschwemmung verursacht, da der Wassereinlass direkt auf die Hose zielt und somit doch noch für eine (unfreiwillige) Dusche sorgt. Wir melden den defekten Spülkasten nach dem Mittag, was zur Folge hat, dass abends um 22 Uhr ein Angestellter mit einem Rohrentstopfer vor der Türe steht und die Toilette reparieren will. Wir liegen im Schlafsack, sind kurz vorher eingeschlafen. Auch durch mehrmaliges Zurufen, wir seien schon im Bett, lässt er sich nicht abwimmeln. Bea erklärt ihm dann, dass nicht die Toilette das Problem sei und er morgen kommen soll. Saukomisch, wir lachen uns später halb tot. Wenn einer eine Reise tut . . .

Die Busfahrt quer über die Insel ist landschaftlich schlicht der Hammer. Vulkane haben ein schroffes Durcheinander von Bergen und Tälern hinterlassen, durch das sich die Strasse nur in endlosen Kurven und steilen Anstiegen winden kann. Und endlich, wir glauben es nicht, gibt es sogar Sonnenschein! Weit unten an der Küste liegt unser Zwischenziel, San Carlos und die Fähre nach Toledo. Noch ahnen wir nicht, dass hier unsere mehrtägige Irrfahrt ihren Anfang nimmt.

Auf Odysseus‘ Spuren

Nein, die zwei Fährverbindungen nachmittags seien gestrichen. Keine Ahnung, was der Grund sei, erklärt uns der Wächter am Hafen. Die Stadt hat nur ein Hotel, also ab in den Bus nach Dumaguete, das wir nach viereinhalb Stunden kurzweiliger Reise erreichen. Hier dasselbe, die Fähre nach Tagbilaran kann wegen zu viel Wind nicht fahren, vielleicht morgen. Also wieder ins gleiche Hotel, wie vor einer Woche. Am anderen Morgen stehen wir mit unseren Rucksäcken ratlos am Pier. Auch heute verkehren keine Fähren, zu viel Wind. Was tun? Eigentlich wollen wir nach Hause auf Panglao. In ein paar Minuten legt eine kleine Auslegerfähre zur nahe gelegenen kleinen Insel Sicquijor ab, von dort gibt es eine grössere Fähre Richtung Tagbilaran. Rasch kaufen wir Tickets und sitzen Minuten später ausser Atem mit dreissig Passagieren im kleinen Boot. Als die Mannschaft rundherum die Fensterbretter schliesst und Planen darüber rollt, ahnen wir, dass die Fahrt wohl nicht so ruhig wird. Auf dem offenen Meer geht es dann zur Sache. Das Boot rollt und schaukelt, die ersten gelben Plastikbeutel werden an bleichgesichtige Passagiere verteilt. Und spätestens als sich neben Bea ein gewaltiger Schwall Wasser ins Schiff ergiesst, ihre Hose durchnässt und gurgelnd durch die Spundlöcher abfliesst, wird’s lustig. Zum Glück sind wir Landratten resistent gegen die Seekrankheit (in diesem Fall) und geniessen die stündige Fahrt trotzdem.

Am Hafen in Larena gibt’s wieder lange Gesichter. Die grosse Fähre ist bis Samstag ausgebucht, vielleicht können wir am Sonntag mit. Heute ist Donnerstag. Wir suchen uns eine schöne Bleibe direkt am Meer (sind die einzigen Gäste) und beraten. Das Wetter bleibt mindestens eine Woche schlecht und sehr windig. Über Mindanao weiter im Süden gab es einen kleinen Taifun, die Ausläufer davon machen uns nun zu schaffen. Das Meer ist sehr rauh, den relativ kleinen Personenfähren werden vor allem die im Wetterbericht angekündigten Windböen bis 80 km/Std. gefährlich. Hier sitzen wir fest, darum kaufen wir früh am anderen Morgen Fahrscheine für die Autofähre nach Dumaguete zurück (sie ist bald ausgebucht) und hoffen, doch irgendwie, vielleicht auf Umwegen, weiter zu kommen.

Eine Autofähre zirkuliert zwischen Dumaguete und Santander auf Cebu. Der erste Anleger ist verwaist, zu viel Wind. Nach knapp zwanzig Kilometern Jeepney- und Tricyclesfahrt klappt es endlich. Bei hohem Seegang schaukeln und rollen wir nach Santander, fahren mit dem Bus nach Cebu City (135 km) und können da am Abend – oh Wunder – die letzte Schnellfähre nach Tagbilaran besteigen. Wir leisten uns ein Taxi (32 km für Fr. 10.-) und sind endlich um 21 Uhr zu Hause. Die Odyssee ist zu Ende, wir sind um viele Erfahrungen reicher und haben einmal mehr erfahren, was Geduld haben heisst. Negros ist eine sehr schöne Insel, anders als Bohol, aber auf jeden Fall eine Reise wert.

Wie man uns erzählt, sind in den letzten Tagen zwei Fähren in der Strasse von Cebu und eine weiter südlich gesunken. Opfer gab es zum Glück keine.