Fjorde und Tromsö

(24.6.-29.6.2013)

Entlang dem Altafjord geht’s in den schmalen Langfjord, meist nahe am Wasser und ohne allzugrosse Steigungen. Bei dem tollen warmen, ja fast heissen Wetter fliessen erste Schweisstropfen. Ab und zu macht uns der viele Wohnmobilverkehr zu schaffen. Einige kommen beim Überholen gefährlich nah. Der Blick in den Rückspiegel ist nicht so atemberaubend wie die Fjorde bestaunen, aber ein Muss.

Jeden Tag begegnen uns Tourenvelofahrer. Kaum einer hat Zeit für ein paar Worte, schade. Vermutlich haben die meisten nur wenige Ferienwochen zur Verfügung und ein Tagessoll zu erfüllen. Wir geniessen es, Zeit zu haben und auch mal zu bummeln.

Die Klippen werden mehr und mehr zu Bergen, Schneefelder und kalte Winde gibt’s ab 300 m ü.M. und bei Pit schon mal „Hüenerhut“ an den Beinen (wer mit kurzen Hosen fährt . . .).

Das Wetter wird wechselhafter, ab und zu zwingt uns ein Schauer in die Regenhosen. In der dritten Nacht nach Alta gibt’s am Abend ein Gewitter mit Donnergrollen, pechschwarzen Himmel und böige Winde die kräftig am Zelt rütteln. Wir hocken an einem Passübergang im Zelt und Pit kann sich nicht überwinden, im Regen zu kochen. He nu, dann eben ein kaltes Nachtessen.

Am Lyngenfjord gibt’s die erste und am Ullsfjord die zweite Fähre nach Tromsö. Wir können uns nicht satt sehen. Jede Kurve, jede Kuppe und jeder Passübergang öffnet neue, hammermässige Ausblicke! Und immer wieder säumen prächtige Blumenwiesen unsere Strecke. Das Pedalen ist anstrengend, selten ist die Strasse eben. So schön kann Schwitzen sein.

Die Nebenstrecke (Fähre ab Olderdalen) ist ideal zum Velofahren. Sehr wenig Verkehr, kaum mal ein Wohnmobil dafür Natur, Natur.

In Tromsö, der nördlichsten Stadt Norwegens (ca. 71`000 Einwohner) ruhen wir einen Tag aus. Am Sonntag geht’s Richtung Andenes auf den Vesteroleninseln und dann weiter auf die Lofoten. Neben Tunnels gibt es diverse Bergpreise zu gewinnen. Mal sehen, wie es läuft.

Von Hammerfest nach Alta                                                                                    

Nach gut fünf Stunden auf See verlassen wir das Schiff nicht ungern. André, der Belgier, den wir drei Tage vorher trafen, ist mit uns gereist.

Bis Alta gibt’s zweimal wild Zelten an super schönen Plätzen. Natur pur, Sicht über Fjorde und zum Morgenessen beäugen uns Rentiere neugierig.

Kurz vor Alta kommt uns Antje mit ihrem schweren Rad entgegen. Ein Jahr hat sie Zeit und will sicher pedalen bis es kalt wird. Gute Reise und toi, toi, toi! Ein paar Kilometer weiter ein Rastplatz, Zeit für das Mittagspicknick. Wir trauen unseren Augen nicht, das gibt’s doch nicht - tatsächlich treffen wir Bekannte aus unserem Dorf! Grosses Hallo und nach dem Essen einen Kaffee im Wohnmobil (es fängt an zu regnen), da sagen wir nicht nein. Annemarie und Martin, herzlichen Dank für den feinen Tropfen zum Mitnehmen! Am Abend hat Bea dafür ein extra feines Essen gezaubert. Gute Reise und Grüsse in die Heimat, Annemarie, Martin, Pia und Marcel!

Alta ist ideal für eine Pause. Die Beine fühlen sich nach den drei anstrengenden Tagen immer noch bleischwer an. Endlich Wäsche waschen, Velos kontrollieren, das Zelt trocknen, einkaufen, die Homepage aktualisieren und die nächsten Etappen vorbereiten (vor allem die Versorgung mit Lebensmitteln ist knifflig und verlangt Planung). Und dann die Füsse hochlegen und lesen . . . das tuuut guuuuut . . .

Am Nordkapp

Geschafft!!! Am 18. Juni 2013, 12 Uhr stehen wir mit Velos, Sack und Pack am Nordkapp. 71° 10' 16" nördliche Breite, 2.095 Kilometer vom Nordpol entfernt. Unbeschreiblich – wir sind tatsächlich da. Und das bei allerschönstem Wetter.

Genau vor vier Monaten haben wir Istanbul verlassen, sind 6088 Kilometer pedalt (von zu Hause 9226 km), 31`797 Höhenmeter geklettert (seit der Schweiz 61`751), haben zwei Reifen gewechselt (sonst keine Pannen) und beide einige Kilos „verloren“. Wir fühlen uns prima und sind einfach zufrieden und glücklich.

Am Kapp treffen wir Ruth und Herrmann aus Fribourg mit ihrem Wohnmobil wieder. Am Vortag haben sie uns unterwegs spontan zum Kaffee eingeladen. Nun, nach der Kapperoberung, geniessen wir das gluschtige Plättli, den Kaffee und ein weiches Sitzkissen ganz besonders. Merci Ruth und Herrmann, dass wir in eurem rollenden Home zu Gast sein durften!

Wir fahren am Nachmittag zurück nach Honningsvag. Meist geht es abwärts, aber eben nicht nur (siehe oben). Die 250 Kronen für ein Zelt (Fr. 38.50) auf dem Nordkapp-Camping grenzen an Wucher (Duschen nicht inbegriffen). Die können uns mal. Wir leisten uns ein Bett. Morgen müssen wir um 05.45 beim Schiffsanleger sein um mit dem Hurtigruten-Schiff nach Hammerfest zu schippern. Das erspart uns die Tunnels und 70 km Rückfahrt auf gleicher Strecke.

André aus Belgien treffen wir in Honningsvag wieder.
André aus Belgien treffen wir in Honningsvag wieder.

An der Barentssee

Am 16. Juni erreichen wir die Barentssee am Porsangerfjord in Nordnorwegen und überfahren damit den 70. Breitengrad. 91 Kilometer ständiges Auf und Ab, Gegenwind und frische 8 Grad – ein langer Velotag geht zu Ende (irgendwann jubelt Bea „9`000 Kilometer – juuhuu!!“).

André, ein Belgier auf grosser Tour und Ricke und Jan, aufgestellte Holländer, treffen wir unterwegs auf einen Schwatz. Alle drei keine jungen Semester mehr. Übrigens auffallend: Die meisten Reisebegegnungen auf zwei Rädern sind in unserem Alter oder älter und auf langer Tour. Willkommen im Klub!

 

Noch gut 130 km bis zum Kapp. Bis nach Honningsvag gibt es fünf Tunnels zu durchfahren. Gut beleuchtet (die Tunnels und wir) ist das kein Problem, nur sehr sehr laut mit dem vielen Wohnmobilverkehr.

Der längste, der Nordkapptunnel, misst fast 7 Kilometer, fällt steil bis 212 m unter den Meeresspiegel ab und steigt dann immer schön mit 10% 3 km zum Ausgang an. Unter Nordkapp-Radfahrern ein spezielles Thema, schauerlich und doch faszinierend. Man rät uns, das Loch wegen des Verkehrs sehr früh am Morgen zu durchfahren.

Wir campen ganz nah beim Eingang. Um 04.00 Uhr aus dem „Sack“ und hopp rein ins „Vergnügen“. Wir rollen steil nach unten. Jules Vernes „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ - etwa so muss es sein. Ausgepumpt, die letzten Kräfte mobilisierend, endlich, endlich kommt das Tageslicht in Sicht. Nein, zurück tun wir uns das nicht mehr an, das war schon vorher klar.

Auf den 31 Schlusskilometern bis zum nördlichsten Punkt des europäischen Festlandes geht’s erst richtig zur Sache. Bei schönstem Wetter und ohne Verkehr am frühen Morgen klettern wir Meter um Meter. Nach jeder Biegung kommt noch ein „Stutz“, noch eine Kurve – hört das denn nie auf? Und kaum auf ein Plateau hochgekeucht – das Kap ist weit hinten schon in Sicht und auf gleicher Höhe – fällt die Strasse unvermutet ab und steigt Kilometer weiter wieder an. Man kennt das beim Wandern. Also ran an die Säcke und keine Müdigkeit vorschützen.

Ivalo, Inari, Grenze zu Norwegen

Auf der Karte sehen Ivalo und Inari aus, als wären es Orte mit einer gewissen Infrastruktur. Real gibt’s eine gute Hand voll Häuser und vielleicht zwei Läden mit einem Grundangebot an Nahrungsmitteln. Wie sehr wir doch verwöhnt sind von zu Hause. Immerhin findet Pit einen Reserve-Ersatzreifen in Ivalo (nicht faltbar, leider).

Das Wetter verändert sich auf dem Weg nach Inari. Die Temperatur fällt um gute 15 Grad in den einstelligen Bereich. Der saukalte Wind bläst ins Gesicht, am Himmel jagen dunkle Wolken und ein paarmal schlüpfen wir scharf an einer Regenfront vorbei. Viel auf und ab über lange Geraden, vor allem aber der böigen Wind lässt die Beine schwer werden. Zäh heute, das Treten.

Am Inarisee begegnet uns André aus Gera. Er ist auch auf seiner ersten grossen langen Tour. Anderntags unterhalten wir uns mit Laurent. Der Franzose ist seit fünf Jahren unterwegs, nun mit seinem 80-Kilogramm-Rad auf dem Weg nach Istanbul. Nach Nord- und Südamerika radelt er durch Europa, will später gegen Osten und irgendwann den Erdball umrundet haben.

Norwegen! Unser 19. Reiseland heisst uns mit wärmerem, sonnigem Wetter willkommen. In Karasjok erst mal in den Supermarkt. Dass es (noch)teurer wird, war uns schon klar. Z.B. kosten 1 kg Tomaten Fr. 7.50; 1 kg Brot ab Fr. 6.40; Eisbergsalat, 400 g, Fr. 4.80; Kartoffeln, 1 kg ab Fr. 4.80; RedBull, 0,25 l, Fr. 3.40; Milchschokolade, 200 g, Fr. 4.80; 5 dl Bierdose ab Fr. 5.50. Da müssen wir doch leer schlucken . . .

Der Fluss Karasjohka mit wunderschönen Sandstränden.
Der Fluss Karasjohka mit wunderschönen Sandstränden.
Die älteste Holzkirche der Finnmark in Karasjok, erbaut 1807.
Die älteste Holzkirche der Finnmark in Karasjok, erbaut 1807.
Wir sind am nördlichen Polarkreis!
Wir sind am nördlichen Polarkreis!

Rovaniemi, Elche, Rentiere und der zweite Mantelriss

Noch ca. 650 Kilometer bis zum Nordkap, einem Etappenziel im Sommer. Nach 1340 Kilometern in Schweden (seit Stockholm) sind wir nun in Rovaniemi, der offiziellen Heimat von Santa Claus und Hauptstadt Finnisch-Lapplands. Hier am Nordpolarkreis legen wir einen Pausentag ein. Sieben Tage pedalen, Regen und Gegenwind haben uns gefordert – Zeit, die Batterien aufzuladen. Aber die Mühen lohnen sich: Blumenwiesen mit vielen, vielen „Ankebälli“ (Trollblumen); Wald, soweit das Auge reicht, unterbrochen von kleinen und grossen Seen, Bächen und Flüssen. Skandinavien hat seinen eigenen Reiz. Man erliegt ihm oder kann nichts damit anfangen.

Ungewöhnlich heisse Tage liegen hinter uns. Die Einheimischen hoffen, dass das nicht schon der Sommer gewesen ist. Wir natürlich auch.

Vor Mittsommernacht möchten wir am Nordkap sein. Um den 21. Juni stehen sich die Touris dort oben auf den Füssen herum. Definitiv nichts für uns.

Bei schönstem Sonnenschein überfahren wir den nördlichen Polarkreis kurz nach Rovaniemi – heute rollt es fast von alleine. Ein breiter Rücken hat durchaus auch beim Velofahren seinen (Wind-)Vorteil. Unvermittelt, ca. 50 km nach Rovaniemi: „Uhhh, lueg, Elche!!“ Tatsächlich, im Gebüsch etwas abseits der Strasse erscheinen zwei Köpfe und vier grosse Ohren. Einer nimmt rasch reissaus, der andere und wir glotzen uns minutenlang an. Toll! Täglich treffen wir nun auch auf Rentiere. Weder Lastwagen noch Autos beeindrucken sie gross; sie bleiben mitten auf der Strasse stehen und behindern den Verkehr. Zwei Velöler aber, unbekannte Wesen, davor stieben sie verschreckt in alle Himmelsrichtungen davon. Warum ticken Hunde nicht auch so?

Ab und zu sichten wir unter den vielen, vielen Wohnmobilen einzelne Schweizer Skandinavienfahrer. Offenbar sind die Kleber auf unseren Schutzblechen zu klein; wir geben das Winken irgendwann auf. Dafür laden uns Holländer, die uns in Rovaniemi angesprochen haben, tags darauf unterwegs spontan zu Kaffee und Gebäck ein. „Wenn wir Sie treffen, dann mache ich einen Kaffee“, versprach Corrie – die Geste hat uns sehr gefreut! Merci, Familie Schipper.

Gut 100 Kilometer vor Ivalo erwischt es Bea: der hintere Reifen hat einen Riss. Genau gleich wie bei Pit vor Tagen. Wir montieren den zweiten Ersatzreifen, jetzt darf nichts mehr passieren. In Ivalo oder Inari muss Ersatz her, hoffentlich . . . Noch während der Reparatur gesellt sich Heinz, Tourenradler aus Dornbirn, zu uns. Am Abend auf dem Zeltplatz in Tankavaara bleibt Zeit, mit ihm über das Reisen und speziell das Velofahren zu philosophieren. Ein gemütlicher Abend, mal nicht nur zu zweit. Gute Reise, Heinz, und lass das Nordkapp schon mal von uns grüssen!

Wer den Norden kennt, weiss um die Stechmücken und andere lästige Stecher. (Die sehen z.B. aus wie Bremsen, nur viel grösser, können ein flottes Velotempo mithalten, den nach Atem ringenden Strampler im Schwarm umkreisen und bei einem unbedarften Stopp gnadenlos zustechen – also richtig gemeine, abgebrühte Scheissviecher). Der Camping in Tankavaara liegt im Wald (so eine Idee muss man erst haben) und ist ein Mückeneldorado. Wir können ab sofort in Sachen Überfall-Attacken der Plagegeister mitreden. Nach einer ruhigen Nacht im sicheren Zelt hauen wir am Morgen raschmöglichst ab. Kaffee, Morgenessen, Hintern einsalben – alles ist gestrichen. Nur rasch weg!!

Wunderschön, die vielen "Ankebälli" (Trollblumen) an unserer Strecke.
Wunderschön, die vielen "Ankebälli" (Trollblumen) an unserer Strecke.

Finnland

Am 3. Juni reisen wir bei Haparanda, ganz oben am Bottnischen Meerbusen, nach Finnland ein. Unser 18. Land auf der Tour. Ein letzter Blick aufs Wasser – erst beim 800 Kilometer entfernten Nordkapp kommen wir wieder ans Meer, der Barentssee.

Rad wird in Finnland viel gefahren. Absolut super sind die guten Wegmarkierungen für Velofahrer an den zahlreichen Radwegen. Nicht immer super sind die Wege selber. Wir holpern schon mal von einer Bodenwelle zur andern bis es uns zu blöd wird. Dann eben die Hauptstrasse.

Bis Rovaniemi am Nord-Polarkreis sind es gut 100 km. Seit wir Richtung Nord-Ost pedalen bläst uns der Wind kräftig und ohne Pause ins Gesicht und treibt Regenwolken vor sich her. Zum Glück entladen sie sich erst in den folgenden Nächten. Wir liegen im Zelt am Trockenen und lauschen dem Prasseln auf das Zelt. Saugemütlich.

Gestern ist uns Petr aus Tschechien auf seinem Reiserad entgegen gekommen. Er ist von Helsinki durch Finnland hoch und macht den Bogen Richtung Stockholm. Sein Kollege aus Polen war am Nordkapp und fährt uns entgegen.

Der Klassiker im hohen Norden zieht jedes Jahr viele Longdistance-Biker an. Woher kommst du? Wohin fährst du? Wie lange bist du unterwegs? Die klassischen Fragen. Velofahren verbindet, über alle Landes- und Sprachgrenzen hinweg; jede Begegnung ist speziell und macht neugierig. Über Wochen waren wir alleine unterwegs, haben solche Treffen vermisst.

Ab morgen Freitag, 7. Juni geht’s durch Finnisch-Lappland weiter. Ab heute bis 6. Juli scheint die Sonne 24 Stunden am Tag. Wir können nachts trotzdem schlafen, dafür sorgen anstrengende Stunden auf dem Velo tagsüber.

 

Nach und nach wird die Besiedlung weniger, Städte fehlen völlig. Klar, dass Zeltplätze und damit Internetempfang nur alle paar Tage in unserer Reichweite liegen. Wir wünschen unseren Mitreisenden tolle Ferien- und Sommerwochen, trotzdem WIR die Sonne nun 24 Stunden am Tag gebucht haben – see you lather!