Steil, sehr steil, schieben! An manchen Abschnitten mühen wir uns zu zweit pro Velo ab.
Steil, sehr steil, schieben! An manchen Abschnitten mühen wir uns zu zweit pro Velo ab.

Kiüshü, südlichste Hauptinsel Japans

Der Zirkus zieht weiter. In der Küstenstadt Shunan wollen wir morgen die Fähre nach Kunisaki nehmen, die nördlich der Stadt anlegt. Der Receptionist des Toyoko-Inn Hotels beim Bahnhof kann unsere Reservation einfach nicht finden. Wieder mal dieses leidige Sprachproblem. Pit schnauft hörbar durch.

Bald aber ist klar, dass wir diesmal die Tölpel sind, die nicht mitbekommen haben, dass die Hotelkette zwei Hotels mit fast gleichem Namen in Kunisaki betreibt. Und dann noch beide beim Bahnhof. Sorry, sorry! Diesmal mit tiefer Verbeugung von uns.

Zwei Stunden dauert die Überfahrt mit der Autofähre. Das Velofahren bei Sonnenschein(!) nach Kunisaki, unserem ersten Ziel auf Kiüshü, wird zum puren Vergnügen. Kaum Verkehr und wenn steile Anstiege drohen, haben die lieben Japaner extra für uns Löcher in den Vulkan gebohrt. Scheiteltunnels findet man in Japan zu Tausenden. Arigatò gozaimash!

Eine unruhige Nacht – für uns

Nach längerem Herumirren auf der Suche nach einem Hotel in Kunisaki finden wir mit Hilfe eines Postbeamten ein tolles Riokan mit sehr herzlichen, hilfsbereiten Besitzern (Reisegasthaus,traditionell eingerichtetes japanisches Hotel. Die Zimmer sind japanisch gestaltet, die Böden mit Tatami-Matten ausgelegt. Für Ausländer nicht einfach als Gasthaus zu erkennen). Weil kein Zimmer für zwei Personen frei ist, müssen wir heute getrennt nächtigen. Ausgerechnet heute! 

Um 23.15 Uhr wird die Nachtruhe jäh unterbrochen. Die Erde bebt, und wie! Bea bekommt eine Erdbebenwarnung aufs Smartphone, die Notbeleuchtung geht an, auf der Strasse sind Lautsprecher-Durchsagen zu hören.

Nach zwei kleineren Nachbeben herrscht Ruhe. Stärke 6,3 auf der Richterskala wird anderntags gemeldet. Offenbar hat das Schwanken nur uns erschreckt. Unseren Gastgebern ist der nächtliche Aufruhr am nächsten Morgen kein Wort wert.

 

Auf der nationalen Route 213 entlang der Küste nach Beppu brummt der Verkehr. Hohe rauchende Kamine markieren Schwerindustriegebiete, darum die vielen Sattelschlepper, die uns zu oft an den Strassenrand drängen. Nur ab und zu gibt es wenig einladende, mit Unkraut überwucherte Radwege. Alternativrouten sind rar.

Pedalen und Laufen

Nun sind Pausentage fällig. Die nächste grosse Stadt, Oita, bietet sich an, liegt aber nur 25 Kilometer weiter südlich an der Küste. Pit schlägt vor, die Strecke künstlich zu verlängern (es könnte uns ja langweilig werden :-), über einen kleinen Pass zu treten und so dem Verkehr an der Küste die lange Nase zu zeigen. Es gibt Höhenkurven auf der Karte, wer stark vergrössert stellt fest, dass sie näher beieinander liegen, als uns lieb sein kann. Mal sehen . . .

Schon am Stadtrand gehts zur Sache. Nach einem kurzen Tunnel hat die Tour nicht mehr viel mit Spass zu tun. Wir quälen (besser mühen) uns die nächsten sechs Kilometer den Berg hoch. Meist zu Fuss. Waren die Räder schon mal schwerer? So viel Steigung schaffen wir mit dem Gepäck nur mit würgen. Das muss nicht sein. So war das nicht gedacht, mein lieber Mändeler! Aber zum Streiten fehlt jetzt die Kraft. 

Manchmal stellen Restaurants ihre Menus in Schaufenstern aus. Für uns einfacher zum Auswählen.
Manchmal stellen Restaurants ihre Menus in Schaufenstern aus. Für uns einfacher zum Auswählen.

Das andere Japan

Freitagabend, die Büros in Japan entvölkern sich nach und nach. Als Bürolist trägt man in Japan einen schwarzen Anzug, Halbschuhe und oft Krawatte. Frauen kommen ähnlich uniformiert daher, aber meist im schicken Deux-Pieces. So auch in Oita. Wer nicht vorreserviert, geht von Restaurant zu Restaurant auf Pilgerreise. Je länger der Abend, je lauter die Gäste, das gehört in Japan zum Freitagabend-Beizenbummel der Arbeitenden Die sonst höflichen, zurückhaltenden, leisen Japaner/innen prosten sich mit Bier und Sake zu, manche trinken mehr, als ihnen gut tut. 

Nahe unserem Hotel sitzt eine junge Frau apatisch auf dem Troittoir, den Inhalt der Handtasche um sich verstreut. Das letzte Glas war wohl zu viel.

Das andere Japan, ungewohnt, immer wieder voller Gegensätze, so gar nicht dem Klischee entsprechend, lässt uns oft schmunzeln. Wir treffen es immer wieder an, vermeintlich hochmodern, technikverliebt, vortschrittlich und doch stark dem Herkömmlichen verbunden. 

Z.B. ist das Bezahlen an vielen Orten nur mit Bergeld möglich. Heisst für uns, immer genügend im Portemonnaie haben. Geld aus einem ATM ziehen geht nicht überall. Akzeptiert werden unsere europäischen Bankkarten ohne Probleme in 7Eleven-Shops.

Geraucht wird in Japan sehr viel. Auch in Beizen und Hotelzimmern(!). Ist für uns manchmal schwierig, Nichtraucherzimmer zu buchen. Zigaretten sind günstig. Andererseits treffen wir ungefähr die Hälfte der Japaner/innen mit Masken an. Auf dem Velo und Motorrad, im Park und Wald, allein im Auto, beim Einkaufen sowieso, eigentlich überall. Heute waren wir vermutlich die Einzigen auf dem Fahrrad ohne Maske. 

Irgendwann ist uns der trockene Beizenbummel zu blöd. Wir kaufen im nächsten 7Eleven ein und treffen uns auf der Hotelzimmer-Bettdecke zum Picknick. 


Wiedersehen nach acht Jahren! Wir freuen uns sehr mit Miki und Hideshi.
Wiedersehen nach acht Jahren! Wir freuen uns sehr mit Miki und Hideshi.
Witzig! Vor acht Jahren haben wir unter der Brücke unser Zelt aufgeschlagen.
Witzig! Vor acht Jahren haben wir unter der Brücke unser Zelt aufgeschlagen.

Japan

 

Pünktlich um 21 Uhr landen wir auf dem Kansai-Airport bei Osaka, gebaut auf einer künstlichen Insel im Meer.

Passt! Alles angekommen, keine Schäden an den Velo-Kartons. Eigentlich haben wir nichts anderes erwartet. Nicht von den Chinesen beim Zwischenstopp in Shanghai und schon gar nicht von den Japanern am Kansai-Flughafen. 18 Stunden hat die Reise ab Bali gedauert, davon zehn Stunden Herumsitzen in Shanghai. Die Luft ist draussen, sind nur noch müde. Mit Hilfe des Chauffeurs und Fahrgästen gelingt es nach einigen Verrenkungen und viel Gelächter doch noch, unsere Veloschachteln und das viele Gepäck im engen Kleinbus zum Hotel zu verstauen. Arigatò gozaimash! Vielen Dank, willkommen in Japan!

Die erste Woche unserer Japanreise fahren wir auf ähnlicher Strecke wie vor acht Jahren, nehmen nochmals die Fähre von Wakayama nach Tokushima auf die schöne Pilgerinsel Shikoku, statten aber vorher noch Miki und Hideshi einen Überraschungsbesuch ab. Riesengrosses Hallo, als sie uns erkennen! Acht Jahre ist es her, dass wir ihre Gastfreundschaft geniessen durften. Wir werden herzlich umarmt, was Japaner bei Fremden sonst vermeiden. 

Wieder dürfen wir bei ihnen übernachten, diesmal im Zelt und natürlich gibts zuerst ein heisses Entspannungsbad im hauseigenen Onsen (heisse Quelle vulkanischen Ursprungs). Geniale Erholung der Muskeln nach einem Velotag! Miki lässt es sich nicht nehmen, für uns zu kochen und serviert Abend- und Morgenessen direkt am Zelt! Hammermässig!

Kintaikyo-Holzbrücke aus dem 17. Jahrhundert, kurz nach Iwakuni, Honshu.
Kintaikyo-Holzbrücke aus dem 17. Jahrhundert, kurz nach Iwakuni, Honshu.

Wir meinen, dass seit unserem ersten Besuch der Strassenverkehr deutlich zugenommen hat. Auf den schmalen Strassen kommen uns Sattelschlepper öfter gefährlich nahe. Allgemein aber nehmen die Autofahrer/Autofahrerinnen Rücksicht auf uns, vermutlich auch, weil so spezielle Vögel wie wir selten auf Japans Strassen anzutreffen sind. Es gibt Radwege und -streifen, wir benutzen sie meistens, allerdings sind viele Strecken in einem so miesen Zustand, dass sie den Namen Radweg nicht verdienen. Japan will sich als Veloland etablieren, da bleibt noch sehr viel zu tun!

Das Velo darf, ja muss in den Lift! Abstellen in der Reception in der dritten Etage.
Das Velo darf, ja muss in den Lift! Abstellen in der Reception in der dritten Etage.

Leider nicht zugenommen haben die Englischkenntnisse der Japanerinnen und Japaner. Bestimmt mit ein Grund, dass sich die Kontakte zu den Einheimischen auf ein Minimum beschränken, ja so viel Nichtbeachtung wie hier in Japan war für uns schon lange nicht mehr. Mit dem Englischen scheint Nippons Bevölkerung nichts am Hut zu haben. Selbst an Bahnhöfen, Hotelrecep-tionen(!), bei Touristen-Büros, in Einkaufsläden, Restaurants, wo auch immer, bekommen wir zu oft nur ein verschämt gemurmeltes „sorry, sorry“ zu hören. Für ein Land, das gemäss offiziellen Zahlen viertgrösste Exportnation sein soll, erstaunlich. 

Spannend zusätzlich, dass 2025 die Weltausstellung Expo in Osaka stattfindet. Die Begeisterung in der Bevölkerung kocht gemäss Internet noch auf kleinem Feuer. Kein Wunder, ist von Reklame für den grossen Anlass nichts zu sehen. 28,2 Millionen Besucher werden erwartet, lediglich 3,5 Millionen Gäste aus dem Ausland.

 

Wohlverstanden, Japan gefällt uns! Dass wir die Kirschblütenzeit auf die Woche genau getroffen haben, begeistert uns jeden Tag aufs Neue. Auf Shikoku kommt die ganze Pracht der Bäume und Blumen besonders toll zur Geltung. Leider vermiesen uns tiefe Temperaturen und häufiger Regen (noch) das Campen. Dafür geniessen wir die japanische Küche ausgiebig und freuen uns, dass Hotelzimmer günstiger geworden sind. Seit unserer ersten Japanreise 2016 ist der Jen-Kurs um ein Drittel eingebrochen.

Erster Reisehöhepunkt wird der 70 Kilometer lange Shimanami Kaido-Radweg, der über sechs Inseln und sieben Brücken von Shikoku auf die grösste Hauptinsel Honshu führt. Entlang der Route können Velos gemietet werden, davon machen Touris und Einheimische gerne gebrauch. Nicht alle sind geübte Velofahrer, wie wir schmunzelnd feststellen. Und warum Mann/Frau in Japan mit tiefster Velosattel-Einstellung, also mit angezogenen Knien fahren resp. sich abmühen, bleibt für immer ihr Geheimnis.

In Hiroshima gibts zwei Tage Pause. Eine angenehme Stadt mit wunderschönen Grünanlagen, die heute kaum mehr ahnen lassen, wie es am 6. August 1945 nach dem ersten Atombombenabwurf der Geschichte durch die Amerikaner ausgesehen hat.


Japan

Kirschblütenzeit im Land der aufgehenden Sonne. 

Text und weitere Bilder folgen später. Noch müssen/dürfen wir einfach geniessen.